Heimat – das ist ein großes Wort. Heimat ist ein schwer zu definierender Begriff. Heimat kann ein Ort sein – aber auch viel mehr. Heimat hat etwas mit Herkunft, Erfahrungen und Sehnsucht zu tun. Sie prägt die Persönlichkeit und ist somit ein wichtiger Teil der Identität.
Was ist Heimat? Eine kleine Sammlung
2 Sprichwort Philosoph Schriftsteller Kinderlied Song §
Unsre Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer, unsre Heimat sind auch all die Bäume im Wald. Unsre Heimat, ist das Gras auf der Wiese, das Korn auf dem Feld und die Vögel in der Luft und die Tiere der Erde und die Fische im Fluss sind die Heimat.
Text eines Liedes der DDR-Pioniere
§
Urheber: Published by Asylum Records. Photographer uncredited and unknown.
Eine weit verbreitete Definition von Heimat lautet: Heimat ist der Ort, an dem man geboren und aufgewachsen ist. Das ist eine naheliegende und leicht verständliche Beschreibung. Das Zimmer, in dem wir als Kind geschlafen haben, der Garten, in dem wir gespielt haben, die Stadt, in der wir unsere ersten Freunde getroffen haben – all das bleibt uns ein Leben lang in Erinnerung.
Darüber hinaus neigen die meisten Menschen zu Nostalgie, das heißt, je älter sie werden, desto mehr sehen sie ihre frühen Erfahrungen und Erlebnisse positiv. Die Kindheit erscheint so den meisten Menschen im Nachhinein als eine Zeit der Sicherheit und des Glücks. Die Sorgen und Probleme, die sie vielleicht auch als Kind schon umgetrieben haben, verdrängen sie eher. Deshalb verbinden sie oft mit dem Ort, an denen ihre kindlichen Erfahrungen stattgefunden haben, positive, heimatliche Gefühle.
Heimatorte aus der Kindheit kann man gut daran erkennen, dass man, wenn man sie später wieder besucht, ein 'nostalgisches' Gefühl bekommt. Ein solches Gefühl kriegen Erwachsene oft, wenn sie in ihrem Elternhaus in ihrem alten Kinderzimmer stehen,
Heimat- und Freilichtmuseen wie z. B. der Hessenpark in Neu-Anspach vereinen in sich die Konzepte von Heimat als Ort und als Erinnerung. Hier soll vor allem der Alltag der Vergangenheit erlebbar werden, aber ein Alltag, wie er eben an einem bestimmten Ort, (z. B. in einem mittelhessischen Dorf) stattgefunden hat. Gleichzeitig werden hier aber auch Geschichten darüber erzählt, wie es ist, sich einen neuen Ort als Heimat erschließen zu müssen (z. B. hier).
Für einen Menschen, der dort lebt, wo er geboren und aufgewachsen ist, ist die Frage nach seiner Heimat also meistens leicht zu beantworten. Wenn der Mensch seinen Geburtsort aber irgendwann für längere Zeit verlässt, wird es kompliziert. Die alte Heimat behält er in seinen Gedanken und Erinnerungen. Aber was macht er mit dem Ort, an den er gezogen ist?
Wenn er Glück hat, wird er auch dort schöne Erlebnisse haben, Freunde finden, sich ein Heim schaffen. Dafür verwendet man dann Begriffe wie 'angekommen sein', 'Wahlheimat' oder 'aufgenommen werden'. Und das bedeutet vielleicht tatsächlich, dass zur ursprünglichen Heimat eine zweite Heimat hinzugekommen ist.
Hat der Mensch aber Pech, so wird er nicht akzeptiert und findet keinen Zugang zu seinen Mitmenschen. Dann spricht man eher von 'Exil', 'Fremde' oder 'draußen bleiben'. Und in so einem Fall wird der betroffene Mensch seine ursprüngliche Heimat oft umso positiver sehen. Im Gegensatz zum neuen Aufenthaltsort bietet ihm dann die Erinnerung an seine frühere Heimat schöne Gefühle und Erinnerungen.
Drei Menschen fliehen – Wer findet eine zweite Heimat?
Der Architekt Walter Gropius (1883–1969) floh vor den Nationalsozialisten in die USA, wurde dort Staatsbürger, arbeitete weiter, erhielt Aufträge und Anerkennung. Nach Kriegsende blieb er in den USA, reiste aber immer wieder nach Deutschland.
Die Dichterin Nelly Sachs (1891–1970) floh vor den Nationalsozialisten nach Schweden, sie arbeitet dort zunächst als Wäscherin, dann als Übersetzerin. Ihre eigene Dichtung wurde erst später anerkannt, 1966 erhielt sie den Literaturnobelpreis.
Der Schriftsteller Stefan Zweig (1881–1942) floh vor den Nationalsozialisten nach Brasilien. Er wurde dort als Künstler bewundert und unterstützt, tötete sich jedoch 1942 selbst. Er schrieb, dass er den Verlust seiner geistigen Heimat Europa nicht überstanden habe.
Man kann Heimat aber noch anders verstehen. Sie kann mehr sein, als der Ort, aus dem man stammt. Heimat kann auch eine Sprache, ein Dialekt, ein Lied sein. Sie kann der Geschmack eines Essens sein, ein Spiel oder eine alltägliche Gewohnheit. Wichtig ist nur, dass wir mit der jeweiligen Sache positive Erinnerungen an ein heimatliches Zuhause verbinden. Heimat lässt sich also an unterschiedliche Orte mitnehmen. Ich kann an einem anderen Ort das Essen zubereiten, das mir meine Mutter immer gekocht hat. Und es ist überall möglich, Menschen zu treffen, die den Dialekt meiner Eltern sprechen.
Mit diesem Gefühl von Heimat hat es sicher auch zu tun, dass Migranten oft gemeinsam eine Gruppe bilden. Sie suchen dann zum Beispiel Menschen, die aus der gleichen Gegend stammen. Und untereinander sprechen sie dann vielleicht auch weiter ihre Sprache. Zum Heimatgefühl kann auch beitragen, im Internet oder mit Satellitenfernsehen die Spiele der heimatlichen Fußballmannschaft anzuschauen. All das erzeugt ein Gefühl von Heimat, auch wenn diese Heimat mehrere tausend Kilometer entfernt liegt.
Um an ihre 'heimatlichen' Nahrungsmittel und Einrichtungsgegenstände zu kommen, haben Migranten oft spezielle Läden. Diese bieten die Produkte aus der ursprünglichen Herkunftsregion an. Hier zu sehen ist ein russischer Supermarkt in Berlin. Ähnliche Läden gibt es auch für ostasiatische, arabische und türkische Produkte.
Eine Verbindung in die Heimat: Über Satellitenfernsehen können sich Migranten Nachrichten, TV-Serien und Sportereignisse aus ihrer Heimat ins eigene Wohnzimmer holen. Das Foto wurde in Neukölln gemacht, einem Berliner Stadtteil, in dem viele Migranten leben.
Singen, Tanzen, Brauchtumspflege – auch dabei kann man die eigene Heimat spüren. Das Foto zeigt die 'Concord Singers' aus New Ulm, Minnesota (USA). Die Nachfahren deutscher Einwanderer pflegen hier bis heute deutsches Liedgut und deutsche Trachten.
Wer jemals nach Frankfurt oder in die Umgebung kommt, muss diese Spezialität probieren, sonst versäumt er einen Hochgenuss! Allerdings schmeckt er "dorsch un dorsch" am besten, d. h. er muss gut durch sein! Und so isst man ihn: Eine Scheibe Brot mit Butter bestreichen, ein Stück Käse abschneiden und darauflegen, abbeißen. Für die "Musik" sorgen kleine geschnittene Zwiebeln in Essig mit ein wenig Öl und Pfeffer nach Geschmack. Auch der Handkäs kann darin etwas ziehen. Eine besondere Geschmacksnote entsteht, wenn man ihn mit Kümmel bestreut. Handkäs wird nur mit dem Messer geschnitten, eine Gabel zu verwenden gilt als Stilbruch.
Fragen zu Heimat und Identität sind bei russlanddeutschen Spätaussiedlern besonders spannend. Als Aussiedler haben sie schon einmal zwei Orte, gegenüber denen sie heimatliche Gefühle haben können: ihren Herkunftsort in der ehemaligen Sowjetunion (v. a. in Russland und Kasachstan) und ihren jetzigen Wohnort in Deutschland. Hinzu kommen aber noch zwei 'alte Heimaten' – die Dörfer im ursprünglichen Siedlungsgebiet der Russlanddeutschen, aus denen sie während des Zweiten Weltkriegs deportiert wurden und das alte Deutschland, aus dem die Vorfahren einst weggezogen waren.
Und noch ein anderes Merkmal zieht sich durch das russlanddeutsche Verhältnis zu Heimat und Identität: Heimat ist den Russlanddeutschen fast nie 'geschenkt' worden. Sie hatten nur selten das Glück, in einen Ort hineingeboren zu werden, an dem sie 'dazugehörten' und wo sie ihr Leben lang bleiben konnten. Heimat musste für Russlanddeutsche meistens erarbeitet werden. Sie mussten Widerstände überwinden, Enttäuschungen ertragen und harte Umstände erdulden. Vielleicht hat gerade diese harte Arbeit die Russlanddeutschen zu Heimat-Experten gemacht.
Der Historiker György Dalos über schwankendes Heimweh bei den Russlanddeutschen in den späten 1980er Jahren
In all den Jahren, als eine solche Lösung [eine Wiederherstellung der russlanddeutschen Republik in den alten Siedlungsgebieten an der Wolga] nicht einmal formulierbar gewesen war, hatte die sowjetdeutsche Frustration zu einer wachsenden Sehnsucht nach Rhein und Neckar geführt. Sobald jedoch die Perestroika oder noch mehr die Glasnost den Anschein erweckte, der Bann könne gebrochen werden, übte die Wolga für eine Weile wieder eine stärkere Anziehungskraft aus. [...]
So schien die Erneuerung der Wolgarepublik für einen historischen Augenblick die Möglichkeit zu eröffnen, als Sowjetbürger deutscher Nationalität den Zugang zu Menschenrechten und Wohlstandschancen zu erhalten, ohne die Strapazen einer Weltreise von Omsk nach Frankfurt und die Unsicherheit des Neuanfangs in einer fremden Welt auf sich nehmen zu müssen.
Perestroika und Glasnost: Reformpolitik in der Sowjetunion ab 1986, die die Situation der Russlanddeutschen verbesserte
Die 'alte Heimat': Das Gemälde aus dem 18. Jahrhundert zeigt das Leben auf einem deutschen Bauernhof. Aus dieser Welt kamen die meisten der ersten Russlanddeutschen. Johann Ludwig Ernst Morgenstern (1738–1819), "Ein Bauernhof" von 1794.
Die 'alten Dörfer': Das Foto zeigt die Kolonie Darmstadt in der heutigen Ukraine im Jahr 1918. In solchen, von ihnen und ihren Vorfahren errichteten Dörfern, lebten die meisten Russlanddeutschen. 1941 wurden sie jedoch gezwungen, diese Dörfer zu verlassen. Sie wurden in die östlichen Teile der Sowjetunion deportiert.
Mehrere Jahrzehnte lebten die Russlanddeutschen dann in ihren zugewiesenen Gebieten, vor allem in Westsibirien und Kasachstan. Zu sehen ist das Russisch-Deutsche Haus in Barnaul (Altai, Russland).
Als sich die meisten Russlanddeutschen dann Ende des 20. Jahrhunderts entschlossen, nach Deutschland zurückzukehren, wartete dort ein ganz anderes Deutschland auf sie, als das, welches ihre Vorfahren verlassen hatten. Das Foto zeigt die Siedlung Aschenberg in Fulda, wo viele Spätaussiedler seit ihrer Rückkehr zunächst untergebracht wurden.
Galerie: Russlanddeutsche Heimaten
16Die Russlanddeutsche Swetlana Paschenko über ihre Gefühle zur 'Alten Heimat' Deutschland§
arrc17Eine ZDF-Doku über den Fuldaer Stadtteil Aschenberg – ab Minute 15.40 erzählt die Spätaussiedlerin Katharina Hilkevic von ihrer alten und ihrer neuen Heimat.
Heimat geht durch den Magen – Russlanddeutsche Rezepte und Erinnerungen
Für viele Menschen ist Heimat der Ort, an dem sie aufgewachsen sind und zu dem sie viele positive Erinnerungen haben. Das kann z. B. das Elternhaus oder die Nachbarschaft, in der man aufwuchs, sein.
Menschen, die zeit ihres Lebens an einen neuen Ort ziehen, können heimatliche Gefühle mehreren Orten gegenüber haben. Die Voraussetzung dafür ist, dass sie auch am neuen Ort positive Erfahrungen machen.