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5.2 Arbeit – Kirche – Schule: Das Leben auf dem Dorf
Dorfleben heute: Im Zentrum steht – nach wie vor – die Kirche.
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Das Leben der deutschen Siedler fand fast ausschließlich in ihren Dörfern statt. Zur russischen Außenwelt hatten die Siedler nur sehr wenig Kontakt, über lange Zeit fehlten ihnen dazu auch die notwendigen Russischkenntnisse. Alles, was im Leben der Siedler wichtig war, musste also im Dorf organisiert werden: Arbeit und Ausbildung, aber auch Gottesdienst und Feste.
1 Zu Hause und auf dem Feld – Die Arbeit auf dem Dorf
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Sieht man sich den Plan einer wolgadeutschen Siedlung im 19.
Jahrhundert an, so fallen einem mehrere Merkmale auf: Das Dorf bestand
aus mehreren, ähnlich oder sogar völlig gleich gebauten Gehöften. Diese
wurden von geraden, sich rechtwinklig kreuzenden Straßen miteinander
verbunden. Am Dorfrand befanden sich einige für das Dorfleben notwendige
Betriebe, zum Beispiel eine Mühle oder ein Sägewerk. Und im Dorfzentrum
befanden sich immer zwei Gebäude: die Kirche und die Schule.
Diese Gestaltung der Dörfer zeigt gut, woraus das Leben auf den
Dörfern bestand: Die Arbeit auf dem Feld, im Haus und in der Werkstatt
nahm den größten Raum ein. Unterbrochen wurde der von den Tages- und
Jahreszeiten vorgegebene Arbeitsrhythmus nur von Sonntagen und
kirchlichen Feiertagen.
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Galerie: Leben im Dorf
§
Urheber: Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte
PDBYSA
Alles, was die Siedler selbst herstellen konnten, mussten sie nicht kaufen. Die Herstellung von Stoffen und Kleidern war dabei die Aufgabe der Frauen. Das Foto zeigt links ein Spinnrad, mit dem aus Schafswolle oder Pflanzenfasern Fäden gesponnen werden. Hinten in der Mitte sieht man eine Drehhaspel, auf der die Fäden aufgewickelt werden. Mit einem Webstuhl (nicht im Bild) konnten dann aus den Fäden Tücher gewebt werden. Auf dem Nähtisch wurden die Tücher mit der Nähmaschine (rechts) zu Kleidungsstücken vernäht. Das Foto wurde, wie auch alle anderen Fotos in dieser Galerie, im Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold aufgenommen.
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Urheber: Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte
PDBYSA
In einer Schreinerwerkstatt konnten Holzwerkzeuge und Möbel hergestellt und ausgebessert werden.
§
Urheber: Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte
PDBYSA
Hufeisen, Scharniere, Beschläge, Nägel – wer eine Schmiede wie diese im Haus hatte, konnte all diese Dinge selber herstellen, bearbeiten und ausbessern.
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Quelle
Ein Dorf im wolgadeutschen Roman
Hinweis: Der Text stammt aus dem Roman "Nor net
lopper g´gewa!" (Nur nicht nachgegeben!) des wolgadeutschen August
Lonsinger (1881–1953). Der Roman erschien 1911 und beschreibt unter
anderem das Dorfleben in den wolgadeutschen Kolonien Anfang des 20.
Jahrhunderts. Wolgadeutsche.net hat den Roman komplett als PDF ins Netz
gestellt. Wenn du ihn lesen möchtest (und Frakturschrift lesen kannst)
findest du ihn hier.
Eichenwald war eine ziemlich große
Kolonie: Sie hatte drei lange Straßen; die mittlere Straße war
breiter, als die anderen, und man sah hie und da Bäumchen vor den
Häusern.
In der Mitte des Dorfes stand die
Kirche mit einem schiefen Turm. An derselben führte die breite
Querstraße (die anderen waren bedeutend schmäler) vorüber: an
beiden Seiten derselben waren meist stattliche Bauernhäuser erbaut,
hier mochten wohl die reichsten Wirte wohnen, denen die ärmeren, die
hier früher gewohnt haben mögen, nach und nach Platz gemacht
hatten.
Den hoflos gewordenen wurden, wie der
Vetter Fritz erzählte, Hofplätze am Ende des Dorfes gegeben;
weshalb das Dorf auch so sehr in die Länge gewachsen war. Eine neue
Straße konnte nicht angelegt werden, da man von einer Seite, dem
Bache entlang, die Gemüsegarten angelegt und von der anderen Seite
die Tennen zugepfercht hatte: erstere konnte man nicht vernichten,
weil weiter kein geeigneter Platz vorhanden war, letztere wollte man
nicht überführen, obgleich dies sehr vernünftig gewesen wäre:
denn die ärmeren wären dann doch näher zu der Kirche und Schulz
gekommen, und hättten keine ganze Werst zu laufen gehabt.
Das Schulhaus machte keinen
aufmunternden Eindruck: es war niedrig und grau; das Dach vielfach
geflickt, von Farbe – keine Spur mehr; nur die Fensterladen wiesen
noch eine blasse fast nicht erkennbare Spur von Dunkelgrün auf.
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Quelle
Die deutschen Dörfer an der Wolga in einem Reisebericht
Ein spitzer Turm und Windmühlen – das ist eine deutsche Kolonie aus
der Ferne. Kommt man näher, muß man durch einen halb ausgetrockneten
Bach. Die Dorfstraßen sind wegen der Feuergefahr breit angelegt; die
Zäune sind alle aus Weidenruten geflochten, denn Holz ist teuer. Nur
spärliche Wälder verkrüppelter Eichen und Schlehen trifft man dann und
wann. Die Hauptpersönlichkeiten in einem Wolgadorfe, das manchmal
über 1000 Einwohner hat, sind: der Pastor, der Obervorsteher, der
Vorsteher, der Kolonieschreiber, der Küsterlehrer und der Lehrer. Dazu
gehören wohl noch die Kaufleute und die Großwirte. [...]
Es ist geradezu wunderbar, wie rein sich dort die deutsche Sprache
erhalten hat; zum Teil hört man sogar noch Mundarten, wie schwäbisch. In
ihren Sitten sind die Kolonisten vollkommen deutsch geblieben.
Nachbau eines typischen russlanddeutschen Hauses
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Darstellung
Die Sprache der wolgadeutschen Bauern
Hinweis: Der Text stammt von Georg Dinges (1891–1932), einem wolgadeutschen Germanisten. Er schreibt darin als
Wolgadeutscher und Sprachwissenschaftler über die Dialekte seiner
Heimat
Wenn ich im Folgenden etwas über unsere Mundarten zu schreiben
unternehme, so bedeutet das soviel, dass ich über die Sprache unserer
Bauern, über die Bauernsprachen schreiben werde. Ich sage Bauernsprachen,
denn es ist doch jedem Bauern bekannt, dass jedes Dorf nach seiner Art
redet, sei´ abartig Schprooch hot. „No was soll dann des gewe, wird mancher denken, iwr de Bauer ehre Schprooch zu schreiwe, zu was hot mr dan so was?“
Und er wird dann in seinen Gedanken noch weiter fortfahren und wird
sich noch ganz gut daran erinnern, dass er vom Pastor, der aus Livland
stammte, gehört hat, dass unsere Sprache, die Sprache der deutschen
Bauern an der Wolga, gar keine richtige deutsche Sprache sei, sondern
eine verdorbene, platte Sprache, ein Plattdeutsch, und das niemand in
Deutschland so spreche oder jemals gesprochen habe. Und auch der
Russenlehrer, der doch auch ein bisschen Deutsch (Schriftdeutsch)
verstand und ein gelernter Mann war, hat sich mal noch vor dem Kriege,
[...] so schrecklich ausgelacht, als er in der Schule einmal sagte, was
auf Deutsch das Wort коза bedeute, und s Hannesche ihm geantwortet hat: „ai, Gaas!“
Der Lehrer konnte zuerst gar nicht begreifen, was die Ziege mit газ
Gase oder gar Petroleum (Lampenöl) zu tun hätte und zuletzt meinte er:
ну и чудной у вас язык (Ihr habt aber eine sonderbare Sprache).
Der Russenlehrer hat es später auch dem Doktor und dem
Postnatschalnik erzählt; da hat es noch ein tüchtiges Gelächter gegeben.
Das Hannesche aber war aus der Schule heim gekommen und hat geweint und
gesagt: „Ich geh net meh in die Schuul, do wärd mr jo iwr sai´ daitsch Schprooch ausgelacht!“
(Ich gehe nicht mehr in die Schule, (denn) da wird man wegen seiner
deutschen Sprache ausgelacht!) Der Vater musste ihm noch Schläge
anbieten und es schließlich auf folgende Art trösten: „unser Schprooch is jo net richtig dr Schrift, dr Bücher nooch, mer schwädze jo plattdaitsch!“ (Unsere Sprache ist ja nicht richtig nach der Schrift und den Büchern, wir sprechen ja plattdeutsch!)
Beispiele für wolgadeutschen Dialekt von einem wolgadeutschen YouTuber [29.08.2018]
2 Im Zentrum: Die Kirche
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Die meisten deutschen Dörfer bauten rasch ihre eigene Kirche. Das
verrät uns zwei Dinge: Die Siedler waren sehr religiös, die Kirche war
sozusagen nach dem eigenen Dach über dem Kopf das Nächstwichtigste. Und
die Siedler waren schnell wirtschaftlich erfolgreich. Sie gehörten nicht
der russischen Mehrheitsreligion an, dem orthodoxen Christentum. Die
meisten von ihnen waren evangelische Christen. Als solche war ihnen zwar
freie Religionsausübung zugesichert worden, sie mussten die Mittel für
einen Kirchenbau aber ohne staatliche oder kirchliche Hilfe selber
aufbringen. Dass viele deutsche Siedlungen dennoch schon bald größere
Steinkirchen errichteten, die teilweise heute noch stehen, zeigt uns,
dass diese Siedlungen schon bald Überschüsse produzierten.
Die Kirchen waren ein wichtiges Zentrum der dörflichen Gemeinschaft.
Hier wurde der heimatliche Glauben praktiziert, die bekannten Lieder in
der Muttersprache gesungen und das Gemeindeleben jenseits der
alltäglichen Arbeit organisiert: z. B. Feiertage, Hochzeiten und Taufen.
Das Zentrum des deutschen Dorflebens: der Gemeindesaal der Kirche. Das Foto zeigt den restaurierten Gemeindesaal der Kirche von Sarepta. Heute ist die Kirche Teil des Freilichtmuseums Alt-Sarepta in Wolgograd.
Die lutherisch-evangelische Kirche in Marx auf einem Foto von 1917. Die 1766 als ‚Katharinenstadt‘ gegründete Siedlung hatte schon um 1770 eine erste Holzkirche. Die auf dem Foto zu sehende Steinkirche wurde 1851 fertiggestellt.
Die evangelisch-lutherische Kirche in Balzer. Auch sie wurde im Jahr 1851 fertiggestellt und sieht im Baustil der Katharinenstädter Kirche sehr ähnlich.
Wiederum eine ähnlich aussehende Kirche in Mariental (heute Sowetskoje) auf einem Foto von 1900. Sie wurde bereits 1842 als Steinkirche erbaut und ersetzte die hölzernen Vorgängerbauten.
Die Marientaler Kirche ist heute nur noch als Ruine erhalten.
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Quelle
Antrag des Dorfes Wiesenmüller für den Bau einer Kirche im Jahr 1875
Seiner Hohen Exzellenz, Herrn Minister für Innere Angelegenheiten,
General-Adjutanten, General der Kavallerie Alexander Jegorowitsch
Timaschew
In der Vorstellung vom 23. Oktober 1875 [...] hat das
General-Konsistorium den ordnungsgemäß bestätigten Plan und den
Kostenvoranschlag für den Bau einer neuen hölzernen Kirche auf
steinernem Fundament im Dorf Wiesenmüller/Gouvernement Samara
vorgestellt und Ihre Exzellenz um Erlaubnis zum Bau gebeten. Ihre Hohe
Exzellenz hatten dem General-Konsistorium mitgeteilt, dass Sie eine
Erlaubnis zum Bau der benannten Kirche für vorzeitig zählen, bis eine
positive Bestätigung vorliege, dass die für den Bau noch fehlende Summe
aus dem Verkauf von Getreide beschafft werden kann.
In der Erfüllung dieser Empfehlung hat die Gemeinde von Wiesenmüller
eine Bestätigung vom 2. Januar 1876 vorgelegt, aus der unter anderem
hervorgeht, dass die zur Zeit für den Bau vorhandene Summe 17.147 Rubel
und 30 ½ Kopeken beträgt, und dass die noch fehlende Summe von 3033
Rubel und 36 ½ Kopeken aus der Ernte vom Gemeinschaftsland für das Jahr
1876 gedeckt wird. Das General-Konsistorium seinerseits, ist [...] der
Meinung, dass die Mittel für den Bau der Kirche ausreichend vorhanden
sind, und hat die Ehre, bei Ihrer Hohen Exzellenz erneut die Erlaubnis
für den Bau einer projektierten neuen Kirche im Dorf Wiesenmüller zu
beantragen.
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Quelle
Probleme mit dem Kirchengesang – ein wolgadeutscher Zeitungsartikel
Der Kirchengesang macht einen
bedeutenden Teil des Gottesdienstes aus. Der Gesang ist es ja, der so
mächtig Herz und Seele zu Gott erhebt; und doch wird bei uns auf dem Lande für
nichts so nachlässig und stiefmütterlich gesorgt, als für
diesen Gesang. Ich habe hier nicht die Absicht, einen großartigen Aufsatz
über Kirchengesang zu liefern, das lasse ich dem Fachmanne, – hier mögen
vorläufig nur wenige Bemerkungen bezüglich unserer Koloniechöre
eingeräumt werden. Woran fehlt‘s denn? Das ist eine Frage, die sich nicht so
einfach und im Handumdrehen beantworten läßt. Es fehlt eben an
vielem. [...]
Wie der Bauer schon jetzt von dem
Baumstamme, der erst nach Jahren zu Brettern zersägt werden soll, die
Äste und knotige Auswüchse weghackt, so möchte ich auch mit unserm
Koloniegesang verfahren, der gewiß einem plumpen Balken gleicht, an dem viel und
viel zu säubern ist. O, wenn sie mir darin nur folgen würden! Was nun
folgt, dürfen die Sänger auswendig lernen und oft erwägen.
Der Kirchengesang ist ein Gebet.
Meide somit beim Gesange die Zerstreutheit, alles Lächerliche;
meide alles, was irgendwie die Aufmerksamkeit anderer auf dich lenken
könnte. Die Aufmerksamkeit der Kirchenbesucher gehört Gott und
göttlichen Dingen; sei also kein Dieb.
Spreche die Worte richtig und
deutlich aus; kannst du diese nicht auswendig oder hast du kein Buch zur
Hand, so schweige. Mitsingen und dabei keine bestimmten Worte
aussprechen wäre buchstäblich ein Geheul und nur den Besoffenen auf der Straße
eigen.
Stampfe nie mit den Füßen in den
Takt, den das verursacht Störung und bei Leuten mit schwachen Nerven
Kopfschmerzen. Ist das Angeben des Tempo nötig, so tue dies einer und
zwar mit der Hand.
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Darstellung
Pfarrer und Küsterlehrer – das religiöse Leben in den Dörfern
In der Regel hatte ein Pfarrer in den Kolonien mehrere Dörfer zu
betreuen, in entlegenen Gebieten manchmal über 10 Dörfer [...]. Der
Pastor besuchte die meisten Kolonistendörfer etwa einmal im Monat.
Während seiner Abwesenheit wurde er vom Lehrer vertreten. Diese
Schulmeister, in den Schwarzmeerkolonien Küsterlehrer oder Kantor
genannt, waren meist zugleich Küster und Organisten. Da sie nicht selbst
predigen durften, verlasen sie aus Predigtsammlungen eine Predigt und
führten den liturgischen Teil des Gottesdienstes durch, ebenso Nottaufen
und Beerdigungen. Sie unterrichteten die Konfirmanden und die ‚Kinderlehre‘, die die Konfirmierten noch drei Jahre nach der
Konfirmation besuchen mussten, führten die Kirchenbücher und besuchten
die Kranken. [...] Lediglich die Trauung, die Konfirmation und die
Abendmahlsfeier waren dem Pfarrer vorbehalten.
3 Nicht wirklich von der Kirche zu trennen: Die Schule
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Den Siedlern war auch die Bildung ihrer Kinder sehr wichtig. Deshalb
bezahlten sie Lehrer und schickten ihre Kinder zwischen dem 7. und 14.
Lebensjahr zur Schule. Das Schuljahr dauerte von November bis März. In
den anderen Monaten mussten die Kinder bei der Haus- und Feldarbeit
mithelfen.
Oft war die Schule in oder in der Nähe der Kirche und der Lehrer war
der Küster (der in der Kirche das Glockenläuten und Orgelspiel
übernahm). Auch der Lehrstoff war stark religiös geprägt und sollte die
Kinder zu guten Christenmenschen erziehen. Auf diesem Weg wurde allen
Kindern aber dennoch Lesen, Schreiben und Grundfertigkeiten der
Mathematik beigebracht und das unterschied die deutschen Siedlerkinder
von einem Großteil der russischen Landbevölkerung im 19. Jahrhundert.
Die heute noch erhaltenen Schulgebäude in wolgadeutschen Siedlungen sind größtenteils Steinbauten vom Ende des 19. Jahrhunderts. Das Foto zeigt das Schulgebäude der Siedlung Huck, heute Splawnucha.
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Quelle
Verordnung über Schul- und Religionsunterricht in den Saratower Kolonien.
Die Patres der römisch-katholischen und die Pastoren der
protestantischen Konfession prägen ihren Pfarrkindern bei jeder
Gelegenheit die Heiligkeit der Pflicht ein, ihre Kinder in Gotttesfurcht
zu erziehen und sie rechtzeitig in die Kirchenschulen zu schicken,
deren Hauptaufgabe in der Unterrichtung der Jugend in der Religion
besteht.
Die Patres und Pastoren besuchen wöchentlich die
Schulen ihrer Pfarrdörfer und halbmonatlich die Schulen der Nebendörfer.
Außer diesen festgesetzten Besuchen liegt ihnen ob, diese Schulen,
unerwartet für Lehrer und Schüler, aufzusuchen.
Die Besuche der
Patres und Pastoren haben nicht nur den Zweck, ein allgemeine Aufsicht
auszuüben, sondern durch Belobung der Fleißigen und Tadelung der Faulen
zum Fleiß anzuspornen
Die gewöhnlichen und außergewöhnlichen
Besuche der Patres und Pastoren werden mit Angabe des Datums von den
Schulmeistern in das von ihnen geführte Revisionsbuch eingetragen, damit
der Superior und Probst zu jeder Zeit feststellen kann, inwieweit der
Geistliche sich seiner Schulen annimmt.
Jeder Familienvater ist
verpflichtet, seine Kinder, Zöglinge, Lehrlinge und Diener beiderlei
Geschlechts, vom siebenten Jahre an von anfangs Oktober bis Ende Mai
täglich in die Schule und Sonntags in die Katechese zu schicken.
Jeder
Schulmeister führt eine genaue Liste aller schulpflichtigen Kinder, an
Hand welcher er nach Beendigung des Vormittag- und Nachmittagunterrichts
oder der Kinderlehre aufruft und die Fehlenden in eine besondere Liste
einträgt, die er jeden Tag der Dorfobrigkeit vorlegt.
Nach
Erhalt der Liste erkundigt sich das Dorfamt beim Familienvorstand über
die Gründe des Ausbleibens der Schüler. Falls dieses als gesetzlich
anerkannt wird, werden die Gründe in der Liste vermerkt, im anderen
Falle wird das Familienoberhaupt mit der in § 9 festgesetzten Strafe
belegt.
Als gesetzliche Gründe für das Fehlen der Schüler werden
anerkannt: Krankheit des Schülers, die Notwendigkeit, ein
Familienmitglied zu pflegen, Todesfall, jedoch nur bis zur Beendigung
der Beerdigung, und bei weitem Schulweg schlechtes Wetter.
Für
jedes ungesetzliche Fernbleiben von der Schule zahlen die Eltern,
Vormünder, Erzieher oder überhaupt das Familienoberhaupt 5 Kopeken
Strafe.
Die Strafe wird vom Dorfamt eingezogen und mit dem
Verzeichnis den Kirchenältesten gegen Quittung ausgehändigt, die das
Geld der Schulkassen einverleiben. Die Schulkasse wird auf gleicher
Grundlage wie das übrige Kirchenvermögen verwaltet. Die Strafgelder
werden zum Ankauf von Schulbüchern für arme Kinder und Büchern als
Prämien für fleißige Kinder verwandt.
Wenn die zur Strafe
verurteilte Person diese nicht zahlen kann, so wird sie zur
Gemeindearbeit herangezogen, und zwar für jede Abwesenheit des Schülers
einen halben Tag. Vergleiche auch (Schulbesuch)
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Darstellung
Der Historiker Viktor Krieger über die deutschen Dorfschulen
Von Anfang an war das Schulwesen stark konfessionell geprägt; die
Dorfschule bereitete die Jugendlichen in erster Linie auf die
Konfirmation beziehungsweise Firmung vor. Bei allen Unzulänglichkeiten
konnten diese kirchlichen Schulen den meisten Kindern das Lesen
beibringen; von den Knaben wurden zusätzlich Schreibfähigkeiten
und Rechnen erwartet. Eine wichtige Rolle fiel dabei dem Küster zu, der
in den russlanddeutschen Siedlungen die Funktionen eines
Pfarrersgehilfen und Schulmeisters in einer Person ausübte. Da ein
Kirchspiel oft mehrere Siedlungen umfasste, vertrat der Küster in den
Filialgemeinden den Pastor, leitete den Gottesdienst, taufte
Neugeborene, bestattete die Gestorbenen und erteilte den Kindern
Konfirmations- bzw. Firmunterricht.
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4 Dörfliches Leben im Museum
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Die russischen Städte Engels und Marx liegen beide im Siedlungsgebiet der Wolgadeutschen. Beide Städte besitzen Heimatmuseen, in denen das dörfliche Leben im 19. Jahrhundert anhand von Ausstellungsstücken nachvollziehbar gemacht wird. Das Bayrische Kulturzentrum der Deutschen (BKDR) aus Russland hat virtuelle Rundgänge aus beiden Museen erstellt, über die man die Ausstellungen besichtigen kann. Den Rundgang aus Engels findet man hier: , den Rundgang aus Marx hier: .
5 Zusammenfassung
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Auf dieser Seite ging es um die Frage, wie das Leben in einem wolgadeutschen Dorf im 19. Jahrhundert aussah.
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Arbeit
Kirche
Schule
§
Urheber: Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte
PDBYSA
Auf dem Feld, in der Werkstatt, zu Hause – Arbeit machte den größten Teil des Dorflebens aus. Zu kaufen gab es wenig und selten, d. h. Lebensmittel mussten selbst angebaut werden, Möbel, Kleidung und Werkzeug oft selbst hergestellt und auf jeden Fall selbst repariert werden.
Die Kolonisten waren sehr gläubige Menschen, jedes Dorf besaß eine Kirche, die von Kolonisten gemeinsam errichtet und finanziert wurde. Die Kirche war sowohl für Glaubensfeste und Gottesdienste als auch für das festliche Dorfleben bei Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen von großer Wichtigkeit.
Die deutschen Siedlerkinder gingen alle zur Schule. Die Schulzeit lag im Winterhalbjahr, damit die Kinder im Sommer bei der Arbeit helfen konnten. Neben religiöser Erziehung wurde den Kindern lesen und schreiben (auf Deutsch) und Mathematik beigebracht.