Ende der 1980er Jahre veränderte sich die Sowjetunion mit rasantem Tempo. Michail Gorbatschow, seit 1985 Generalsekretär des ZK der KPdSU, betrieb die Politik von Glasnost und Perestroika. Dadurch begann die erstarrte kommunistische Diktatur aufzubrechen. In der Sowjetunion schienen plötzlich Dinge möglich, die kurz vorher noch völlig unmöglich gewesen waren: Diskussionen über Missstände, Versorgungsmängel oder die weit verbreitete Alkoholsucht. Gleichzeitig löst diese Reformpolitik auch eine große Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung aus. Und tatsächlich sollte die Sowjetunion wenige Jahre später nicht mehr existieren. Was bedeutete das für die Russlanddeutschen? Würden die neuen Freiheiten ihnen eine bessere Zukunft ermöglichen oder die Unsicherheit eher zu einer Verschlechterung der Lage führen?
1 Autonomie oder keine Autonomie?
Nachdem Michail Gorbatschow im Jahr 1985 Generalsekretär der KPdSU und
damit der wichtigste politische Staatsmann der Sowjetunion geworden
war, begann er eine Reformpolitik, um das Land zu modernisieren und zu
demokratisieren. Sein Konzept für diese Politik nannte er Glasnost
(Offenheit) und Perestroika (Umbau/Umgestaltung). Es entstand eine
Öffentlichkeit für politische Fragen, die Medien berichteten freier – auch über die Verbrechen der kommunistischen Herrscher der
Vergangenheit.
Die offenere Debatte über Fehler und Verbrechen der Vergangenheit berührte das Schicksal der Russlanddeutschen. Ihre Vertreter begannen Verhandlungen mit den Moskauer Machthabern über die Wiederherstellung der 1941 aufgelösten Wolgadeutschen Republik sowie die Wiederherstellung der kulturellen Einrichtungen der Russlanddeutschen.
In der russisch dominierten Mehrheitsgesellschaft der Sowjetunion fanden solche Forderungen der Russlanddeutschen jedoch keine ernsthafte Unterstützung. Lokale und regionale Partei- und Verwaltungsfunktionäre wandten sich offen gegen solche Forderungen, besonders im Wolga-Gebiet. Obwohl die Nationalitätenkammer des Obersten Sowjets Ende 1989 die Forderungen der russlanddeutschen Vertreter unterstützte, wurden sie nie umgesetzt.
Darstellung
Eine neue Nationalitätenpolitik in der späten Sowjetunion?
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Eine neue Nationalitätenpolitik in der späten Sowjetunion?
Formal war die Sowjetunion aus vielen Teilrepubliken und nationalen
Gruppen gebildet. Schon das vorrevolutionäre Russland war ein
Vielvölkerstaat gewesen – auch eine Folge der Expansionen und Kriege,
die das Reich über Jahrhunderte vergrößert hatten. Schon nach der
Revolution von 1917 war daher die Frage, wie man mit den Nationalitäten
umgehen sollte, sehr wichtig gewesen. Lenin und Stalin betrieben anfangs
eine Nationalitätenpolitik, die angeblich mehr Freiheiten und Raum für
kulturelle Eigenarten lassen sollte. Praktisch aber beherrschten die
Doktrin vom Sozialismus und die allgegenwärtigen Strukturen von Partei
und Staat alles. Der Widerwillen gegen die andauernde Unterdrückung
nationaler Selbstbestimmungswünsche und Kulturen blieb daher erhalten
und bildete eine der Grundspannungen in der Sowjetunion. Gerade auch
die Menschen, die etwa im Laufe des Zweiten Weltkriegs in die
Sowjetunion gezwungen worden waren, zum Beispiel die Balten, hatten sich
nie damit abgefunden, „Sowjetbürger“ zu sein. Die Massenverbrechen
gegen bestimmte Volksgruppen, die Deportationen, Enteignungen und
unterdrückenden Zwänge, die sich keineswegs nur gegen die
Russlanddeutschen gerichtet hatten, sondern z. B. auch gegen Krimtataren
oder Tschetschenen, waren nie aufgearbeitet, ja überhaupt nur
öffentlich angesprochen worden.
Durch die Lockerungen in der
Gorbatschow-Zeit brachen daher auch die Debatten über nationale
Eigenständigkeiten wieder auf. Gorbatschow versuchte, ein
Auseinanderfallen der UdSSR zu verhindern. Ein neuer Unionsvertrag wurde
verhandelt. Die Republiken stimmten einem neuen Vertrag nach langen
Debatten schließlich auch zu. Dieser sah die Schaffung einer Föderation
mit einigen zentralen Kompetenzen (u. a. Außen- und Militärpolitik) vor.
Infolge der Ereignisse um den Putschversuch gegen Gorbatschow im Sommer
1991 wurde er jedoch nicht mehr unterzeichnet. Die Sowjetunion löste sich nach dem gescheiterten Putsch in rasantem Tempo auf.
Quelle
Gespräch einer russlanddeutschen Delegation mit einem sowjetischen Funktionär, 1988
Quelle
Gespräch einer russlanddeutschen Delegation mit einem sowjetischen Funktionär, 1988
August Voss [Vorsitzender des Rates der Nationalitäten, höherer sowjetischer Politiker]: Ich als Vorsitzender des Nationalitätenrates entscheide diese Frage nicht direkt. Da ihr an den Obersten Sowjet und an meinen Namen geschrieben habt, wurde mir aufgetragen, euch zu empfangen und anzuhören, was ich auch getan habe. Eure Argumente sind überzeugend [...]. In Bezug auf die Wiederherstellung der Autonomie: Früher, vor der Perestroika widmete natürlich niemand dieser Frage Aufmerksamkeit, [...]. Jetzt aber wird diese Frage auf aufmerksame Weise geprüft.
Zwischenruf (aus der russlanddeutschen Delegation): August Eduardowitsch, verzeihen Sie uns. Es ist aber so, dass wir dies bereits mehrmals gehört haben.
Zwischenruf: Seit 1965.
Zwischenruf: Es wird geprüft und immer wieder geprüft, aber nichts entschieden. Seit 1965 sind keine konkreten Schritte erfolgt.
Voss: [...] Die Regierung und das Zentralkomitee haben beide Hände voll zu tun angesichts der Perestroika, der ökonomischen und politischen Reform. Wir sind noch nicht so weit. Man muss das alles selbstverständlich klären und ordnen.
Andrej Hartung (Mitglied der Delegation): Wir wollen, dass Moskau lautstark erklärt, dass die Frage auf der Tagesordnung steht.
Voss: Wir überlegen, in welcher Form wir das tun können. Ich sage euch gleich, dass man informiert werden muss, sowohl die sowjetischen Deutschen als auch andere Nationalitäten müssen davon wissen.
Zwischenruf: Es ist wichtig, dass sie bereits morgen darüber Bescheid wissen.
Eleonora Heldt (Mitglied der Delegation): Es ist wichtig, dass die Medien mitteilen: Die Deutschen sind nach Moskau gekommen zum Anlass der Schaffung ihrer Republik und dass diese Frage auf höchster Ebene erörtert wird.
Voss: Es ist wichtig, den Medien eine derartige Empfehlung zukommen zu lassen. Hier gibt es verschiedene Formen: Im Rundfunk, im Fernsehen, in Zeitungen.
Zwischenruf: Unsere Frage geht in den Redaktionen spurlos unter. [...] Haben Sie keine Kompetenz, den Zeitungen Instruktionen zu geben?
Voss: Ich habe Kompetenzen, die Frage zu stellen. [...] Alles, was Sie gesagt haben, ist richtig, und Sie haben gut argumentiert.
Zwischenruf: Sie persönlich, als Kommunist, wie verhalten Sie sich zu dieser Frage: Braucht man Autonomie oder nicht?
Voss: Na, zunächst bin ich wenig informiert. [...] Ich habe mich mit eurer Frage speziell nicht beschäftigt. Aber so, wie ihr sprecht, meine ich, ihr stellt die Frage richtig...
Autonomie: Selbstständigkeit – Die
Russlanddeutschen forderten nicht nur eine Rückkehr an die Wolga,
sondern auch die Wiedererrichtung einer ‚Autonomen Sowjetrepublik der
Wolgadeutschen‘, also eines wolgadeutschen Staates als Teil der
Sowjetunion, wie sie ihn von 1918–1941 schon einmal gehabt hatten.
Perestroika:
Umbau, Umgestaltung – Sammelbegriff für die Reformpolitik, die
Gorbatschow 1986 begonnen hatte, um die Sowjetunion wirtschaftlich und
politisch zu liberalisieren und zu modernisieren.
Darstellung
Die Probleme der sowjetischen Führung mit einer russlanddeutschen Autonomie an der Wolga
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Die Probleme der sowjetischen Führung mit einer russlanddeutschen Autonomie an der Wolga
Die Sowjetunion hatte mit der Forderung der Russlanddeutschen, an die Wolga zurückzukehren, zwei große Probleme. Zum einen lebten an der Wolga in den alten russlanddeutschen Siedlungsgebieten mittlerweile andere Menschen, vor allem Russen und Ukrainer, die während des Zweiten Weltkrieges dort angesiedelt worden waren. Bei diesen Menschen stieß die Aussicht, massenhaft Russlanddeutsche könnten bald zurückkehren, auf Ablehnung und Angst. Würden die Rückkehrer denn ihrerseits ihnen nicht Wohnungen und Arbeitsplätze wegnehmen?
Zum anderen erlebte die Sowjetunion Ende der 80er Jahre eine Welle von nationalen Unabhängigkeitsbewegungen. Balten, Tataren, Georgier u. a. forderten eigene Staaten und Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Hätte man den Forderungen der Russlanddeutschen nachgegeben, hätten alle anderen das als Signal verstanden und umso heftiger auf ihr Recht auf Selbstständigkeit und Unabhängigkeit bestanden.
Galerie: Unabhängigkeitsbewegungen
2 Die Auflösung der Sowjetunion und die Folgen
Nach 1990 begann die Sowjetunion sich aufzulösen. Im Inneren verlor die Kommunistische Partei ihre diktatorische Macht. Zudem lösten sich immer mehr Teilrepubliken von der Sowjetunion ab und erklärten ihre staatliche Unabhängigkeit. Im August 1991 erklärten zum Beispiel die Ukraine, Weißrussland, Moldawien und Kirgisistan ihre staatliche Eigenständigkeit. Nachdem auch Russland selbst sich am Jahresende 1991 aus dem Staatsgebilde der UdSSR gelöst hatte, hörte die Sowjetunion auf zu existieren.
Die Auflösung der Sowjetunion, in der Russland und die Russen immer dominiert hatten, hatte positive und negative Folgen für das Leben der Russlanddeutschen. Einerseits konnten sie sich jetzt frei organisieren und in der Öffentlichkeit Gehör verschaffen, etwa durch Zeitungen und im Fernsehen. Auch der Pflege ihrer Kultur stand nun keine Ideologie mehr im Wege. Andererseits waren sie nun Angehörige mehrerer unabhängiger Staaten, die erklärten, für ihr Schicksal und ihre Wünsche nicht zuständig zu sein. In der Ukraine konnte zum Beispiel ein Verein mit dem Namen „Russlanddeutsche“ von der Regierung nicht anerkannt werden. Der Grund dafür war sehr einfach: Nach der Unabhängigkeit legten die neuen Staaten großen Wert darauf, nicht mehr als russisch bezeichnet zu werden. Außerdem wollten sie mit staatenübergreifenden Problemen der alten Sowjetunion nicht mehr konfrontiert werden. In ihrer Sicht konnte es deshalb Russlanddeutsche auch nur noch in Russland geben.
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Was war die Sowjetunion eigentlich für ein Staat
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Was war die Sowjetunion eigentlich für ein Staat
Die Sowjetunion hieß eigentlich mit vollem Namen ‚Union der sozialistischen Sowjetrepubliken‘. Dieser Name weist bereits darauf hin, dass es sich bei diesem Staat um einen Zusammenschluss (eine Union) mehrerer Teilstaaten handelte. Der wichtigste und größte dieser Teilstaaten war die Russische Sowjetrepublik, zusätzlich zu ihr gab es aber noch 13 weitere Sowjetrepubliken (z. B. die heutige Ukraine und Kasachstan). Diese Republiken hatten alle ihre eigene Regierung, zusätzlich dazu aber auch eine Zentralregierung der Union mit Sitz in Moskau. Grundsätzlich ist das System mit dem der BRD zu vergleichen, in dem es 16 Bundesländern mit eigenen Parlamenten und Regierungen (Landtage und Landesregierungen) gibt und ein Bundestag und eine Bundesregierung in Berlin. Allerdings gibt es zwei große Unterschiede:
- Das System der Sowjetunion war nicht demokratisch organisiert. Die einzelnen Regierungen waren nicht wirklich gewählt und die Regierungen der Teilrepubliken waren abhängig von der Zentralregierung in Moskau (und damit von der Kommunistischen Partei der Sowjetunion KPdSU). Gegen deren Willen konnte in den Republiken keine unabhängige Politik gemacht werden. Wichtige Fragen der Wirtschafts-, Innen- und Außenpolitik einzelner Republiken wurden letztlich immer in Moskau entschieden.
- Die Teilrepubliken waren nur offiziell gleichberechtigt. Tatsächlich wurden sie von der größten und wichtigsten Republik, der Russischen Sowjetrepublik, dominiert. Diese umfasste mehr als 75 % der Gesamtfläche und beheimatete mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung der Sowjetunion (zum Vergleich: In Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, leben etwa 20 % der Einwohner der BRD).
Übersicht
Unterschiedliche Vorstellungen in den Verbänden der Russlanddeutschen über die Zukunft (1989–1991)
Übersicht
Unterschiedliche Vorstellungen in den Verbänden der Russlanddeutschen über die Zukunft (1989–1991)
Name des Verbands | Gründungsjahr | Forderungen |
---|---|---|
Allunionsgesellschaft der Sowjetdeutschen 'Wiedergeburt' für Politik, Kultur und Bildung | 1989 | Wiederherstellung der Wolgarepublik oder anderer autonomer Gebiete der Russlanddeutschen in der Sowjetunion; volle Rehabilitierung der Russlanddeutschen; freie Betätigung in der eigenen Sprache und Kultur; volle Glaubensfreiheit |
Verband der Deutschen der UdSSR, später: Zwischennationaler Verband der Deutschen in der GUS | 1991 | Wiederherstellung der Wolgarepublik oder anderer autonomer Gebiete der Russlanddeutschen in der Sowjetunion; volle Rehabilitierung der Russlanddeutschen; freie Betätigung in der eigenen Sprache und Kultur; volle Glaubensfreiheit; nachdem ein autonomes Gebiet nicht erreichbar schien, wollte man sich mit einer kulturellen Selbstbestimmung ohne eigenes Territorium zufriedengeben |
3 Das vereinigte Deutschland und die Russlanddeutschen
Galerie: Die deutsche Einigung und die Russlanddeutschen
Im Jahr 1989 beseitigte eine Friedliche Revolution die Herrschaft der SED in der Deutschen Demokratischen Republik. Die Bürgerinnen und Bürger ließen sich u. a. vom Vorbild Michail Gorbatschows leiten und beseitigten die veränderungsunwillige SED-Herrschaft. Danach setzte eine Entwicklung ein, die zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten führte. Diese wurde am 3. Oktober 1990 vollzogen.
Mit der Entstehung eines vereinigten und weltoffenen Deutschland
entstand für die Russlanddeutschen eine klare Perspektive für eine
eventuelle Rückkehr in das Land, aus dem ihre Vorfahren gekommen waren.
Zugleich erhielten die Russlanddeutschen nun auch eine starke
finanzielle, organisatorische und politische Unterstützung aus
Deutschland.
Dort, wo noch immer verstärkt Russlanddeutsche
siedelten, entstanden in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion
mit bundesdeutscher Hilfe nach 1990 viele kulturelle Einrichtungen.
Beispielsweise wurden in Almaty, Karaganda, Omsk und Nowosibirsk
Kulturzentren eröffnet.
Im Jahr 1990 schlossen die Regierungen Russlands und Deutschlands einen Vertrag, in dem sie die Förderung der russlanddeutschen Kultur vereinbarten.
Quelle
Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit (1990)
Quelle
Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit (1990)
Artikel 15
Die Bundesrepublik Deutschland und die
Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken werden im Bewußtsein der
jahrhundertelangen gegenseitigen Bereicherung der Kulturen ihrer Völker
und deren unverwechselbaren Beitrags zum gemeinsamen kulturellen Erbe
Europas sowie der Bedeutung des kulturellen Austausches für die
gegenseitige Verständigung der Völker ihre kulturelle Zusammenarbeit
wesentlich ausbauen.
Beide Seiten werden das Abkommen über die Errichtung und die Tätigkeit von Kulturzentren mit Leben erfüllen und voll ausschöpfen. Beide Seiten bekräftigen ihre Bereitschaft, allen interessierten Personen umfassenden Zugang zu Sprachen und Kultur der anderen Seite zu ermöglichen und fördern staatliche und private Initiativen.
Beide Seiten setzen sich nachdrücklich dafür ein, die Möglichkeiten auszubauen, in Schulen, Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen die Sprache des anderen Landes zu erlernen und dazu der jeweils anderen Seite bei der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften zu helfen sowie Lehrmittel, Einschließlich des Einsatzes von Fernsehen, Hörfunk, Audio-, Video- und Computertechnik zur Verfügung zu stellen. Sie werden Initiativen zur Errichtung zweisprachiger Schulen unterstützen.
Sowjetischen Bürgern deutscher Nationalität sowie aus der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken stammenden und ständig in der Bundesrepublik Deutschland wohnenden Bürgern, die ihre Sprache, Kultur oder Tradition bewahren wollen, wird es ermöglicht, ihre nationale, sprachliche und kulturelle Identität zu entfalten. Dementsprechend ermöglichen und erleichtern sie im Rahmen der geltenden Gesetze der anderen Seite Förderungsmaßnahmen zugunsten dieser Personen oder ihrer Organisationen.
4 Zusammenfassung
Auf dieser Seite ging es um die Frage, welche Auswirkungen die Veränderungen, die in der Sowjetunion Ende der 1980er Jahre stattfanden, auf die Russlanddeutschen hatten.
1985 kam in der Sowjetunion Michail Gorbatschow an die Macht. Er begann eine Reihe von Reformen, die die SU zu einem freieren und offeneren Staat machen sollten. Viele Russlanddeutschen hofften, dass es in diesem Staat möglich sein würde, wieder in die alten Siedlungsgebiete an der Wolga zurückzukehren und dort erneut ein gewisses Maß an Autonomie zu erhalten.
Die sowjetische Führung wollte den Russlanddeutschen aus unterschiedlichen Gründen keine Autonomie an der Wolga geben. Zudem zerfiel die Sowjetunion und löste sich 1991 in mehrere Einzelstaaten auf. Die Russlanddeutschen lebten nun in einer chaotischen Übergangsphase verteilt auf verschiedene Einzelstaaten, die sich für ihre Probleme nicht zuständig fühlten.
Gleichzeitig vollzog sich in Deutschland die Wiedervereinigung – die DDR wurde Teil der BRD. Die BRD versuchte einerseits mit verschiedenen Initiativen das russlanddeutsche Leben in den Nachfolgestaaten der SU zu stärken, andererseits sollte auch den ausreisewilligen Russlanddeutschen eine Rückkehr nach Deutschland ermöglicht werden.