Psychologen halten die Erfahrung von Selbstwirksamkeit fĂŒr eine wesentliche Zutat fĂŒr Zufriedenheit. Es erfreut Menschen, zu erfahren, dass ihre eigenen Handlungen etwas bewirken, einen Unterschied machen. Viele Dinge kann man ganz allein aber nicht bewirken, man muss sich mit anderen zusammentun, gemeinsam an einem Ziel arbeiten. Und letztendlich ist das auch die Grundlage unserer demokratischen Gesellschaft â dass Menschen sich zusammentun, gemeinsam etwas wollen, sich beteiligen.
Darstellung
Deutsche aus Russland als BrĂŒckenbauer?
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Deutsche aus Russland als BrĂŒckenbauer?
Bei dieser Vorstellung handelt es sich um ein positives Ideal: die Deutschen aus Russland als BrĂŒcke zwischen LĂ€ndern und Kulturen. Aber das ist ein sehr gutes und positives Ideal, auf das wir auf jeden Fall hinarbeiten sollten. Dennoch kann diese Erwartung, als BrĂŒckenbauer fungieren zu mĂŒssen, auch als eine BĂŒrde empfunden werden. Man wird schnell in ErklĂ€rungsverantwortung genommen, zum Beispiel fĂŒr Ereignisse oder Entscheidungen aus Russland, mit denen man nichts zu tun hat. Man wird mit Fragen ĂŒberrollt wie: âWas macht denn der Putin da schon wieder?â Oft hören sich diese Fragen wie ein Vorwurf an. FĂŒr die Situation in Russland in Verantwortung gezogen zu werden oder bestimmte Angelegenheiten erklĂ€ren zu mĂŒssen, kann sehr unangenehm und auf Dauer belastend sein.
1 LoyalitĂ€ten und BrĂŒche: schwierige, aber wichtige Erfahrungen
Es gibt Menschen, die haben immer schon im gleichen Ort und im gleichen Land gelebt. Wie ihre Eltern und GroĂeltern auch. Nie Ănderungen, nie grundsĂ€tzliche Herausforderungen. Solchen Menschen fehlt zuweilen eine wichtige Erfahrung: nĂ€mlich die, sich in Konflikten bewĂ€hren zu mĂŒssen. Und damit bewusst entscheiden zu mĂŒssen, wozu man sich bekennt, zu welchen Menschen man gehören möchte und zu welchen nicht. Das betrifft auch das Land, in dem man lebt. Wer nie im Ausland gelebt hat, zumindest kurzfristig, dem fĂ€llt es mitunter schwer, das Spezielle seines eigenen Landes zu schĂ€tzen. Damit ist nicht gemeint, dass man in seinem Land alles gut findet. Aber man kann es besser beurteilen und kann leichter sagen, was einem grundsĂ€tzlich gefĂ€llt und was nicht.
Die Deutschen aus Russland sind daher eine wertvolle Bereicherung fĂŒr unsere Gesellschaft. Sie können von BrĂŒchen und den manchmal schwierigen Folgen fĂŒr das eigene Leben berichten. Etwa, als sich die Sowjetunion ab Ende der 1980er Jahre aufzulösen begann, die wirtschaftlichen und politischen VerhĂ€ltnisse schwierig waren und nun erstmals seit Jahrzehnten die Möglichkeit bestand, nach Deutschland zu reisen. Zu diesem Zeitpunkt stellten sich fĂŒr viele russlanddeutsche Familien in Russland, Kasachstan, Aserbaidschan, Usbekistan und anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion herausfordernde Fragen: Wo gehören wir hin? Wo wollen wir hingehören? Und wollen wir einen Neuanfang in Deutschland in Angriff nehmen? Können wir das bewĂ€ltigen?
Mal nachdenken ĂŒber alles
Im Podcast "Steppenkinderâ sprechen Russlanddeutsche ĂŒber alles, was sie bewegt.
Sich Gedanken zu seinen Einstellungen machen
Warum es sinnvoll ist, zu wissen, was LoyalitÀt ist und warum man loyal sein sollte
Sich Gedanken zu seinen Einstellungen machen
Warum es sinnvoll ist, zu wissen, was LoyalitÀt ist und warum man loyal sein sollte
In dem Wort loyal steckt das lateinische Wort lex (Gesetz, Gebot, Vertrag). Bei LoyalitĂ€t geht es darum, dass man sich an etwas oder zu jemandem hĂ€lt und zwar deshalb, weil man sich so entschieden hat. Man steht also zu einer Person, einer Gruppe von Menschen oder einer Gesellschaft, weil man erkannt hat, wie wichtig sie fĂŒr das eigene Leben und das Leben vieler anderer sind. Das bedeutet, dass man nicht stĂ€ndig seine Meinung Ă€ndert, weil einem einzelne Handlungen und Entscheidungen nicht gefallen. Man muss diese Entscheidungen nicht gut finden, aber man verteidigt, wenn es Probleme gibt, die angegriffenen Personen oder die angegriffene Gesellschaft, in der man lebt.
In LoyalitĂ€ten kann man hineingeboren sein, etwa in die Familie und die Verwandtschaft oder man entscheidet sich bewusst fĂŒr sie, etwa fĂŒr seine Freunde oder das Land, in das man eingewandert ist und in dem man dauerhaft leben möchte. Loyale Menschen sind keine begeisterten Fans. Ein Fan freut sich an positiven Erlebnissen, etwa als AnhĂ€nger und Zuschauer einer Sportmannschaft. Oft wechselt er aber auch zu anderen Mannschaften oder Sportlern, wenn er sich zum Beispiel fĂŒr eine andere Sportart mehr interessiert.
- Seine Familie kann man so leicht nicht wechseln und in Familien tragen die Menschen auch viel Verantwortung fĂŒr die anderen Familienmitglieder. Man steht also zu seinen Eltern oder Geschwistern, auch wenn sie mal Mist gebaut haben, angegriffen werden oder aus anderen GrĂŒnden in Schwierigkeiten sind, denn man weiĂ, dass man irgendwann auch einmal deren Hilfe und UnterstĂŒtzung brauchen wird.
- Loyal ist man zum Beispiel auch gegenĂŒber seinem Arbeitgeber. Warum das sinnvoll ist? Stell dir vor, was geschehen wĂŒrde, wenn du alle Probleme und Konflikte etwa deiner Firma nach auĂen tragen und dich stĂ€ndig anders Ă€uĂern wĂŒrdest. Das wĂŒrde sehr schnell sowohl dir als auch deiner Firma und damit auch allen anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schaden. Davon wĂ€ren dann auch Leute betroffen, die deine Meinungen nicht teilen. WĂ€re das fair?
Wichtig: LoyalitÀt ist kein blinder Gehorsam. Man muss nicht alles mittragen. LoyalitÀt basiert eben darauf, dass man ganz grundsÀtzliche Werte und Ziele mit denen teilt, zu denen man sich loyal verhÀlt.
2 Das Recht zum Mitmachen
Viele Menschen haben mit den Problemen ihres Alltags viel zu tun. Und das Leben in Deutschland ist manchmal tatsĂ€chlich nicht so einfach: viele Regeln, Vorschriften und Eingrenzungen, komplizierte Behörden, die Suche nach einem gut bezahlten Job, fehlende KindergartenplĂ€tze, Lehrermangel an den Schulen, mangelnder Optimismus und fehlende Risikobereitschaft, Zukunftsangst und die Suche nach der ach so guten alten Bundesrepublik usw. Man könnte viele Probleme in unserer Gegenwart nennen, die uns anstrengen und aufregen â und zwar völlig zu Recht.
Die Frage ist aber, wie wir mit diesen Problemen umgehen. Lassen wir uns von ihnen herunterziehen oder nicht? Belassen wir es beim Meckern und Schimpfen oder tun wir aktiv etwas zur Lösung der Probleme? FĂŒhlen wir uns klein und hilflos oder gehen wir selbstbewusst dagegen vor, was uns stört? Lassen wir uns von anderen sagen, was richtig ist und wie wir denken und handeln sollen oder ĂŒberlegen wir selbst, wie wir denken und handeln können?
Von der Beantwortung dieser Fragen hĂ€ngt viel ab â fĂŒr jeden Einzelnen von uns. Und damit natĂŒrlich auch fĂŒr die Menschen in unserer Umgebung und fĂŒr die Gesellschaft ĂŒberhaupt. Wir leben in einer freien und rechtsstaatlichen Gesellschaft â und das bedeutet, dass wir nicht nur etwas tun können, sondern auch mĂŒssen, wenn wir frei und selbstbewusst leben wollen.
Kurz gesagt: Ein hilfloser und deprimierter Untertan ist nur der, der sich dazu machen lĂ€sst. Diese Gesellschaft aber besteht nicht aus Untertanen, sondern aus BĂŒrgern. Und BĂŒrger sind frei, selbst zu handeln und zu denken. Das ist nicht immer angenehm und man gewinnt dabei auch nicht immer nur Freunde, aber man gestaltet sein Leben sinnvoll.
Es gibt Gesetze, auf deren Grundlage die Integration von Aussiedlern gefördert werden soll. Dazu gehört etwa das Gesetz ĂŒber die Angelegenheiten der Vertriebenen und FlĂŒchtlinge (BVFG).
Quelle
Das Bundesvertriebenengesetz zur Förderung von Kultur von, mit und bei Aussiedlern
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Das Bundesvertriebenengesetz zur Förderung von Kultur von, mit und bei Aussiedlern
§ 96 Pflege des Kulturgutes der Vertriebenen und FlĂŒchtlinge und Förderung der wissenschaftlichen Forschung
Bund und LĂ€nder haben entsprechend ihrer durch das Grundgesetz gegebenen ZustĂ€ndigkeit das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewusstsein der Vertriebenen und FlĂŒchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu erhalten, Archive, Museen und Bibliotheken zu sichern, zu ergĂ€nzen und auszuwerten sowie Einrichtungen des Kunstschaffens und der Ausbildung sicherzustellen und zu fördern. Sie haben Wissenschaft und Forschung bei der ErfĂŒllung der Aufgaben, die sich aus der Vertreibung und der Eingliederung der Vertriebenen und FlĂŒchtlinge ergeben, sowie die Weiterentwicklung der Kulturleistungen der Vertriebenen und FlĂŒchtlinge zu fördern.
3 Pflicht zum Mitmachen?
Etwa 2,5 Mio. Russlanddeutsche sind seit dem Ende des Kalten Krieges nach Deutschland gekommen. Eine ganze Menge Leute. Etwa so viele wie in Hamburg und MĂŒnchen leben. Stell dir mal vor, alle diese Hamburger und MĂŒnchner wĂŒrden sich hier aus allem raushalten: keine Vereine grĂŒnden und betreiben, nicht an Wahlen teilnehmen und nicht Mitglied in Parteien, Kirchen und VerbĂ€nden sein. Und wenn alle diese Leute jetzt auch noch beschlossen hĂ€tten, nicht am Wirtschaftsleben teilzunehmen, nirgendwo zu arbeiten, keine Firmen zu grĂŒnden und jegliche Kulturangebote abzulehnen, dann sĂ€he Deutschland wahrscheinlich ganz anders aus: Ă€rmer und eintöniger. Jeder wĂŒrde spĂŒren, dass etwas fehlt.
Ebenso ist es mit den Russlanddeutschen: Wenn sie ihre FĂ€higkeiten und ihren Willen, mitzugestalten, nicht einbringen wĂŒrden, dann hĂ€tte Deutschland auch ein sehr groĂes Problem.
Sicher, niemand kann gezwungen werden, sich auf eine spezielle Weise oder ĂŒberhaupt im öffentlichen Leben einzubringen. Und das ist auch gut so. Es besteht die Möglichkeit und sicher auch eine moralische Aufforderung dazu, denn sehr oft profitiert man ja auch in diesem Land und von diesem Land.
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4 Die Chance zum Mitmachen
Kinder-, Jugend- und Bildungsarbeit â Beispiel
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Die Deutsche Jugend aus Russland e. V. ist TrĂ€ger mehrerer Sozialeinrichtungen in Frankfurt am Main. GegenwĂ€rtig trĂ€gt die DJR die Verantwortung fĂŒr zwei bilinguale Einrichtungen, einen Kinderhort, einen Kindergarten mit dem pĂ€dagogischen Schwerpunkt auf kĂŒnstlerische, gerade auch musikalische Förderung sowie einen Kindergarten, der ein Angebot fĂŒr Sport, Bewegung und gesunde ErnĂ€hrung anbietet.
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Hinzu kommt eine Kinderkrippe. In Frankfurt-Heddernheim ist zudem gerade der Hort âVilla Wissenâ entstanden, eine moderne Einrichtung inmitten eines 'Bildungscampus', die sich die umfassende Förderung der Talente junger Menschen auf die Fahnen geschrieben hat. Damit wird das Motto der DJR praktisch wirksam umgesetzt. Es lautet: âEntdecke und lebe deine Talente.â
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Sport
Integration und Teilhabe funktionieren oft und sehr gut ĂŒber gemeinsame sportliche BetĂ€tigung. Das ist bei vielen sportbegeisterten Deutschen aus Russland natĂŒrlich auch so. In den von ihnen gegrĂŒndeten Vereinen hat Sport neben Kultur und Bildung immer eine groĂe Bedeutung. Und das ist auch nicht nur in Hessen, sondern auch in den anderen BundeslĂ€ndern so. Im Durchgangslager Friedland veranstaltet zum Beispiel die Landesgruppe Niedersachsen der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland jedes Jahr ein interkulturelles Sportfest. Das Angebot dabei ist immer sehr breit: Im FuĂball, beim Volleyball, Tischtennis und im Schach können die Sportler ihre FĂ€higkeiten zeigen.
In Sachsen organisiert der von Deutschen aus Russland gegrĂŒndete Verein âDas Zusammenlebenâ e. V. aus Freital regelmĂ€Ăig SportwettkĂ€mpfe: KleinfeldfuĂballturniere, âIntegrationsvolleyballturniereâ usw. Der Verein ist inzwischen anerkannter StĂŒtzpunktverein des Deutschen Olympischen Sportbunds im Rahmen des Programms âIntegration durch Sportâ.
In Frankfurt am Main veranstaltet die Deutsche Jugend aus Russland zum Beispiel Tanz, etwa im Jugendhaus Heideplatz.
Russlanddeutsches Unternehmertum â Beispiel
"Mit elf Personen und zwanzig Koffern"
Schon mal von der Fleisbacher Brauerei gehört? Die liegt im mittelhessischen Fleisbach und geleitet wird sie von Waldemar Michaelis, der im Jahr 1991 mit seiner gesamten Familie aus Russland nach Deutschland kam. Seine UrgroĂeltern haben in Sibirien gelebt. 1980 gingen seine GroĂeltern mit seinen Eltern in die sĂŒdrussische Stadt Kamyschin, etwa 200 km nördlich von Wolgograd. Dort wurde er geboren. Er wuchs in Siegen auf, absolvierte eine Brauerlehre und schlieĂlich in Bayern auch ein Studium. Abschluss: Braumeister. Sein Traum: âIch wollte in der Welt herumreisen, Brauereien bauen und optimieren.â Und genau das tut er heute auch. Er eröffnete mit einem Partner im Jahr 2017 die Fleisbacher Brauerei: Silbern glĂ€nzende Tanks und Rohrleitungen bestimmen das Sudhaus. Mit dieser Anlage wird gezeigt, wie moderne Bierherstellung funktioniert. Sie ist damit zugleich ein Showroom fĂŒr Interessenten an Bierbrauereien weltweit, natĂŒrlich auch in Russland, wo der Bierkonsum in den letzten Jahren stark gestiegen ist. In der Gegend im Altai, aus der seine Familie ursprĂŒnglich kam, gibt es heute ĂŒbrigens eine groĂe Brauerei.
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5 Zusammenfassung
Auf dieser Seite ging es um die Frage, was es eigentlich bedeutet, Teil der deutschen Gesellschaft zu sein und in dieser 'mitzumachen'.
Diese deutsche Gesellschaft besteht nicht aus Untertanen, sondern aus BĂŒrgern. Und BĂŒrger sind frei, selbst zu handeln und zu denken. Das ist nicht immer angenehm und man gewinnt dabei auch nicht immer nur Freunde, aber man gestaltet sein Leben sinnvoll. Die Entscheidung, selbst zu handeln, kann und sollte in Deutschland jeder fĂŒr sich treffen.
Auch wenn in Deutschland niemand gezwungen wird, sich am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen, ist es doch fĂŒr eine lebendige und funktionierende Gesellschaft notwendig, dass sich möglichst viele Menschen mit ihren Meinungen und FĂ€higkeiten am gesellschaftlichen Leben beteiligen.
Gesellschaftliches Engagement spielt sich auf vielen Ebenen ab. Ob in zivilgesellschaftlichen Vereinen, in einer Bildungseinrichtung, im Sportverein oder als Unternehmer. Wer sich engagieren will, hat nicht nur viele Möglichkeiten, sondern auch viele Vereine und Institutionen, die ihm dabei helfen.Â