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Ein Großteil der
Bevölkerung der Sowjetunion lebte auf dem Land – so auch die
Russlanddeutschen. Für diese sowjetische Landbevölkerung hatte Stalin
weitreichende Pläne: Sie sollte zu guten kommunistischen Bauern werden,
die in staatlichen Produktionsgenossenschaften gemeinsam hart daran
arbeiteten, Stalins Erntevorgaben zu erfüllen. Und sie sollten mit ihrer
harten Arbeit die Industrialisierung des Landes vorantreiben – denn die
sowjetische Industrie brauchte Unmengen an Arbeitern und diese
brauchten Unmengen an Nahrung! Die Pläne Stalins betrafen auch die
Russlanddeutschen, wir werden in diesem Kapitel sehen, auf welche Weise.
1 'Entkulakisierung' und Kollektivierung – kommunistische Wirtschaft wird mit Gewalt eingeführt
"Wir vertreiben die Kulaken aus den Kolchosen" – sowjetisches Propagandaplakat von 1930
Josef Stalin und die Parteiführung in Moskau hatten ein klares Ziel
für die Sowjetunion: Das Land sollte sich in eine moderne,
industrialisierte Wirtschaftsmacht verwandeln. Arbeiter und Bauern
sollten in kollektiven Staatsbetrieben arbeiten. Die Realität auf dem
Land sah aber oft anders aus. Viele Bauern besaßen eigenes Land, auch
unter den Russlanddeutschen, und hatten kein Interesse, dieses dem
Staat zu geben und dann in landwirtschaftlichen Genossenschaften (Kolchosen) zu
arbeiten. Und anstatt ihre Erträge dem Staat zu verkaufen (der
schlecht und unregelmäßig zahlte), verkauften sie sie lieber auf dem
Schwarzmarkt.
Anklage gegen den angeblichen Kulaken Jakow Fridrichowitsch Maier
(1885–1943). Maier wurde im Wolgagebiet geboren und war ein Opfer der
sogenannten Entkulakisierungkampagne. Sein Besitz wurde eingezogen, und
er verlor das Wahlrecht. Im Jahr 1930 verbot man ihm den Aufenthalt in
seinem Dorf. 1934 wurde er zu Zwangsarbeit verurteilt. Die oben zu
sehende Anklageschrift gegen Maier entstand im Jahr 1935. Er wurde zu
zehn Jahren Lagerhaft wegen angeblicher Spionage und
konterrevolutionärer Tätigkeit verurteilt. Grundlage der Verurteilung
war der Artikel 58 des Strafgesetzbuches der RSFSR. Maier starb 1943 in der Zwangsarbeit.
Um das zu ändern, wurden Zwang und Gewalt eingesetzt. Der 'Kulak'
(russisch für 'reicher Bauer') wurde von Stalin zum Schuldigen für die
schlechte Versorgungslage erklärt. Die Bestrafung und wirtschaftliche
Vernichtung der 'Kulaken' wurde staatliche Aufgabe. Es gab Verhaftungen
und Erschießungen. Für die Verfolgungen wurde eine 'Kulakenliste'
erstellt. Diese enthielt keine Namen von 'Schuldigen', sondern
Gesamtzahlen von 'Schuldigen' in allen Regionen. Die Liste bestimmte zum
Beispiel, dass 60.000 „konterrevolutionäre Kulakenbauern" verhaftet und
in Arbeitslager gebracht werden mussten. Außerdem sollten 150.000
„Kulakenaktivisten" in unwirtliche Gegenden ausgesiedelt werden. Darüber
hinaus wurden noch Enteignungen angeordnet. Insgesamt betrafen die
Kollektivierung und die Entkulakisierung eine Million Bauernhöfe mit ca.
fünf Millionen Bauern in der gesamten Sowjetunion. Unter den Opfern
dieser Maßnahmen waren auch sehr viele russlanddeutsche Bauern. Heutige
Schätzungen gehen von 700.000 russlanddeutschen Opfern aus.
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Quelle
Marx-Engels-Lenin-Institut beim ZK der KPdSU (Hg.), J. W. Stalin, Werke, Band 12, April 1929 – Juni 1930, Berlin 1954, S. 146.
Der charakteristische Zug der Arbeit unserer Partei im letzten Jahr besteht darin, dass wir als Partei, als Sowjetmacht:
a) an der ganzen Front zur Offensive gegen die kapitalistischen Elemente des Dorfes übergegangen sind und dass
b) diese Offensive bekanntlich überaus greifbare positive Resultate gezeitigt hat und weiter zeitigt.
Was bedeutet das? Das bedeutet, dass wir von der Politik der
Einschränkung der Ausbeutertendenzen des Kulakentums übergegangen sind
zur Politik der Liquidierung des Kulakentums als Klasse. Das bedeutet,
dass wir eine der entscheidenden Wendungen in unserer gesamten Politik
vollzogen haben und auch weiter vollziehen.
Liquidierung: Hier ist mit dem Wort Liquidierung Vernichtung gemeint.
5
Quelle
Bericht über die Folgen des Kampfes gegen die 'Kulaken' für deutsche Kolonisten in der Sowjetunion (1929)
Die deutschen Kolonisten leiden wirtschaftlich unter dem jetzigen
System viel mehr als die Russen, da sie viel mehr zu verlieren hatten
und an eine viel kultiviertere Lebenshaltung gewohnt waren. Der typische
Kolonistenhof hatte vor der Revolution 8 bis 12 Arbeitspferde und 7 bis
8 Milchkühe; die Mennonitenhöfe waren noch besser gestellt. Heute hat der Normalhof von 16 Deßj.
nur 2 Pferde und 1 Kuh. Der frühere Großbauer ist damit zum Kleinbauern
herabgedrückt; trotzdem gilt er wegen seiner Vergangenheit vielfach
noch als wohlhabend; er besitzt noch stattliche Gebäude, sein Hausrat
ist ansehnlicher, er selbst hält sich besser, und dies alles macht die
Steuerbehörde immer wieder geneigt, ihn bedeutend stärker zu belasten
als den russischen Bauern. Dabei ist der Besitz größerer Gebäude für die
auf einen Bruchteil zusammengeschrumpfte Wirtschaft zu einer,
unverhältnismäßig großen Last geworden; während die russischen Bauern
ihre Hütten annähernd so imstande halten können wie früher, ist dies dem
deutschen Kolonisten unmöglich; je größer früher der Wohlstand war, um
so ausgeprägter ist heute der äußere und innere Verfall der Häuser.
[...]
Bis 1927 glaubten die Kolonisten sich allmählich zu einer
bescheidenen Höhe emporarbeiten zu können. Diese Hoffnung haben sie
jetzt gänzlich verloren. Sie erkennen klar den Kurs der Regierung, der
die Einzelbauern so herabzudrücken sucht, daß sie ihr Heil nur noch in
der Kollektivierung erblicken. Die große Masse der deutschen Kolonisten
lehnt indessen diesen Ausweg auf das Entschiedenste ab. Dem
Selbständigkeitsbedürfnis des deutschen Bauern ist der Zwang der
kollektivistischen Organisation unerträglich; ein kollektivistisches
Gemeinschaftsleben würde er als Hölle empfinden. Zudem sind für ihn
kollektivistische Wirtschaft und bolschewistische Gesinnung untrennbare
Begriffe.
Hinweis: Der Bericht entstand auf einer Reise auf die Krim und den Bezirk Melitopol im Mai 1929.
Deßj.: Dessjatinen (1 Dessjatine = 1,1 Hektar)
6
Quelle
Keine wolgadeutsche Autonomie, kein Schutz der wolgadeutschen Bauern
Aus einem Bericht des deutschen Diplomaten und Professors Otto
Auhagen vor dem Hauptausschuss des Vereins für das Deutschtum im Ausland
(7. Juni 1930):
Auch vor dem Siege des Bolschewismus hat es Perioden gegeben, in
denen sich die deutschen Kolonisten in Russland national und kulturell
bedrückt fühlten, doch unvergleichlich viel schlechter ist ihre Lage in
der Gegenwart. Zwar scheint die Verfassung des Rätebundes die nationalen
Minderheiten zu respektieren, es gibt eine „autonome" Wolgarepublik,
und auch in den übrigen Gebieten der Union, die zusammen an deutschen
Kolonisten das Anderthalbfache der Wolgadeutschen zählen, sind der
deutschen Bevölkerung ebenso wie anderen nationalen Minderheiten
Sonderrechte eingeräumt.
Bei genauer Betrachtung schrumpft indessen diese Privilegierung auf
sprachliche Duldung zusammen. In jeder sonstigen Hinsicht,
wirtschaftlich, sozial, kulturell ist die Politik des Rätebundes absolut
zentralistisch; gleiche Schablone gilt für sämtliche Nationalitäten.
Der neue Radikalismus, der seit Ende 1927 herrscht, ist geeignet, die deutsche Kultur in den Wurzeln zu töten. Eine Tragödie sondergleichen spielt sich seitdem in den deutschen Siedlungen ab.
Privilegierung: Ausnahme von der Regel, Bevorzugung Radikalismus: extreme Einstellung, z. B. in der Politik oder in der Religion Tragödie: schicksalhafte Entwicklung, die ein schlimmes Ende nimmt
Eine Doku über Stalins Kollektivierungspolitik [08.07.2021]
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Zusammenfassung
Ziele der Entkulakisierung
Ausrufung einer angeblich schuldigen Gruppe innerhalb der großen
Terrorwellen der Stalinzeit zur Vertuschung wirtschaftlicher Krisen
Schüren
von Angst, Denunziantentum und Gewalt gegen angebliche Feinde des
Sozialismus zur Sicherung der Macht der kommunistischen Herrscher
Enteignung und Vernichtung von Bauern, die als etwas wohlhabender galten
Abschaffung des privaten Eigentums an Grund und Boden, Maschinen, Tieren usw. → Kollektivierung der Landwirtschaft
Schaffung von sozialistischen Großbetrieben in der Landwirtschaft
Uneingeschränkte Zugriffs- und Verteilungsmöglichkeiten auf landwirtschaftliche Produkte
Verbreitung und Festigung der kommunistischen Ideologie auf dem Land
2 Die russlanddeutschen Reaktionen auf die 'Entkulakisierung'
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Wenn Regierungen ihr Volk oder eine Volksgruppe zu unterdrücken
beginnen, versuchen viele betroffene Menschen, der Unterdrückung zu
entkommen. Mennonitische Siedler vor allem aus Sibirien dachten an
Flucht. Sie hatten Kontakte nach Kanada und in die Vereinigten Staaten
von Amerika. Die sowjetische Regierung wollte Landflucht verhindern und
verbot den Bauern häufig die Ausreise. Proteste folgten. Diese mündeten
zum Teil auch in Resignation und Gleichgültigkeit. Bald lagen den
Behörden Berichte über brachliegende Felder und willentlich verendetes
Vieh vor.
Diese Formen des passiven Protestes waren weit verbreitet. Manchmal
gingen sie auch in aktive Aufstände über. So nahmen Protestierende
beispielsweise Verwaltungsangestellte als Geiseln, um verhaftete
'Kulakenbauern' freizupressen. Manchmal führten die Protestaktionen auch
zum Erfolg. Hier und da machten die örtlichen Behörden Zugeständnisse.
Mitunter wurden auch Enteignungen zurückgenommen, damit Bauern in die
Kollektivwirtschaft eintraten und wieder aktive Landwirtschaft
betrieben. Dauerhaft waren solche Abmachungen aber nicht.
Wer konnte, flüchtete und ließ alles zurück. Russlanddeutsche
Auswanderer, die Bildunterschrift lautet: "Lebt wohl, wir scheiden."
11
Quelle
Widerstand von Russlanddeutschen: „Haut ab Ihr Volksverhetzer!"
Ende Januar [1930] kam es in der Nähe von Pokrowsk (Republik der
Wolgadeutschen) zu Zusammenstößen zwischen Kommunisten und deutschen
Kolonisten. Ein Kommunist, der eine Hetzrede gegen die deutschen
Kolonisten hielt, wurde verprügelt und lebensgefährlich verletzt. Die GPU nahm
daraufhin zahlreiche Verhaftungen vor. In Pokrowsk sind 620 sowjetische
Kommunisten aus Leningrad eingetroffen, die einen großen
Propagandafeldzug für die Auslöschung der individuellen
Bauernwirtschaften führen sollen. Bei dem Eintreffen des Zuges mit den
Kommunisten kam es zu erregten Szenen, da die deutschen Kolonisten gegen
die Entsendung dieser Kommunisten Einspruch erhoben und forderten, dass
die Kollektivierung der deutschen Bauernwirtschaften in der
Wolgarepublik auf unbestimmte Zeit vertagt werde.
GPU: seit 1922 die Bezeichnung der Geheimpolizei der Sowjetunion
12
Quelle
Fluchtbewegungen
Der deutsche Diplomat Otto Auhagen gibt einen Bericht für den
Sommer 1929 wieder, der die Auswanderungsbewegung aufgrund der
Entkulakisierung und Kollektivierung schildert:
Die Hoffnung auf bessere Zeiten schwinden im Volk immer mehr. Reichsdeutsche Kolonisten,
die seit Jahrzehnten in Russland wohnen, Schweizer, die im Kaukasus an
der Hebung der Milchwirtschaft wirkten, verlassen scharenweise das Land,
und überaus groß ist die Zahl nicht nur der fremdstämmigen, sondern
auch der russischen Bürger der Union, die lieber heute als morgen
Abwandernden folgen würden.
In einem weiteren Bericht vom 27. März 1930 heißt es:
Die deutschen Bauern erblicken überall ihre einzige Rettung in der
Auswanderung […]. Verzweiflungsaktionen größeren Maßstabes wird
voraussichtlich dadurch noch Vorschub geleistet werden, daß im Frühjahr
in vielen Bezirken Hungersnot eintreten wird. Die Furcht vor großen
Unruhen trägt dazu bei, reichsdeutsche Kolonisten zur Rückwanderung zu
bestimmen.
3 Hungersnot als Folge der 'Entkulakisierung'
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Sommer 1932 waren viele deutsche Dörfer völlig verändert: Alle
Wirtschaften waren kollektiviert worden und die Bauern hatten kein
eigenes Land mehr. Die ehemaligen Großbauern und jene, die man für
Großbauern gehalten hatte, waren vertrieben oder ermordet worden. Manche
hatten auch fliehen können.
Die eilig geschaffenen Kolchosen waren wirtschaftlich nicht
erfolgreich. In vielen landwirtschaftlichen Betrieben herrschte Chaos
statt einer planvollen Bewirtschaftung der Felder. Vor den tödlichen
Folgen der Zwangskollektivierung hatten auch führende Kommunisten
gewarnt. Als 1931 eine Missernte das Land heimsuchte, geriet die
Sowjetunion in eine weitere verheerende Versorgungskrise. Stalin wich
jedoch nicht von seinem Wirtschaftsplan ab, sondern forderte immer
höhere Getreideabgaben. Diese wurden mit Gewalt eingetrieben. Die
rücksichtslose Beschaffung von Getreide machte selbst vor dem Saatgut
nicht halt.
Schließlich kam es, wie es kommen musste, die Sowjetunion wurde
1932/33 von einer fürchterlichen Hungersnot heimgesucht. Erneut wütete
sie am schrecklichsten in diesen ertragreichsten Gegenden des Landes.
Stalin hatte nichts von der vergangenen Hungersnot gelernt! Schlimmer
noch, das Ausland sollte nichts von der Not der Bevölkerung und der
Schwäche des 'überlegenen' Kommunismus erfahren, denn die
Getreideexporte waren nicht zu gefährden. Schließlich drangen die
Nachrichten über die Grenzen, sodass Stalin mit gemischten Gefühlen und
unter internationalen Druck die Einfuhr von internationalen Hilfspaketen
und die Arbeit von Hilfsorganisationen zuließ. Doch die Angst vor der
mitgelieferten Propaganda erwies sich bald größer als die Sorge um das
hungernde Volk. So wurden die Hungerhilfen überwacht und nach kurzer
Zeit strengstens limitiert.
14
Galerie: Der Hungermord von 1932/33
§
Urheber: Unknown author; Central State Audiovisual Archives of Ukraine.
Die Hungersnot von 1932/33 war das direkte Ergebnis von Stalins Politik. Und als die Hungersnot ausgebrochen war, wurden keinerlei Maßnahmen ergriffen, den Betroffenen zu helfen – im Gegenteil. Hier siehst du einen sogenannten 'Roten Zug', der 1932 die Ernte aus einem sowjetischen Dorf abtransportiert, um sie in die Großstädte des Landes zu schaffen.
Die Karte zeigt die betroffenen Gebiete – es sind gleichzeitig die fruchtbarsten und ertragreichsten Gebiete der Sowjetunion. Dass hier am meisten Menschen starben, war menschengemacht und beabsichtigt. Deshalb spricht man heute in der Ukraine von der Hungersnot auch als 'Holodomor', Hungermord, und einige Staaten (Deutschland nicht) definieren die Hungersnot von 32/33 als Völkermord.
Die Grafik zeigt uns zwei Dinge: Den Einbruch in der Getreideproduktion ab 1931 und dass noch während der Hungerkatastrophe Getreide aus der Sowjetunion exportiert – und nicht etwa in die betroffenen Gebiete geschickt – wurde!
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Darstellung
Die Russlanddeutschen in Zwangskollektivierung und politischem Terror
Die großangelegte Kollektivierung der Landwirtschaft in der
Sowjetunion führte auch bei den Russlanddeutschen zu Enteignungen und
Neuverteilungen der landwirtschaftlichen Flächen. Vor allem die
Mennoniten mussten einen großen Teil ihres Grundbesitzes hergeben. Und da
die Mennoniten den kommunistischen Funktionären ohnehin in Dorn im Auge
waren, wurden sie zunehmend auch persönlich verfolgt und vertrieben.
Mehr als 20.000 Mennoniten wanderten zwischen 1923 und 1929 aus der
UdSSR aus. Parteiaktivisten wurden zu Hunderten in die Gebiete der
Wolgadeutschen geschickt, um Enteignungen und Deportationen
durchzusetzen. 1929 wurde in der
Wolgadeutschen Republik beschlossen, dass alle Bauern ihr gesamtes
Produktions- und auch einen großen Teil des persönlichen Eigentums
vergemeinschaften sollten. Dagegen protestierten die Bauern in mehr als
30 Dörfern. Mit Gewalt wurden sie unterdrückt. In den Jahren 1930/31
wurden 3,7 % der Bevölkerung der Wolgarepublik in die Verbannung
getrieben, Zehntausende starben.
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Quelle
Das Ende von Onkel Paul
Otto Dreit, 1921 in Saratow geboren, erinnert sich an den letzten
Besuch seines Nachbarn während der schrecklichen Hungerkatastrophe von
1932/33:
In unserem Hinterhaus wohnte der Hausmeister, ein Deutscher. Mit
seiner Frau, einer Russin, hatte er vier Kinder. Wir Jungs nannten ihn
immer nur Onkel Paul. Ausgangs des Hungerwinters, wohl so im März, kam
er früh in unsere Wohnung. Ich hätte ihn fast nicht erkannt. Fahlbleich,
abgemagert zum Skelett mit tief liegenden Augen stand er in unserer
Küche und bat meine Mutter mit leiser, zitternder Stimme um ein Stück
Brot. Mutter fragte ihn gleich nach der Frau und den Kindern. Weinend
erzählte er, dass Gott sie zu sich genommen habe. Seit drei Tagen hätte
er nichts mehr gegessen, er könnte es nicht mehr aushalten. Obwohl ich
noch ein Kind war, bemerkte ich sehr deutlich, wie er sich des Bettelns
wegen schämte. Unsere Essenration war auch äußerst knapp. Mutter teilte
jedem ein kleines Stück Brot am Morgen zu, für den älteren Bruder, der
arbeiten ging, hatte sie die Ration im Schrank verschlossen. Wortlos
ging sie nun, als sie das Elend des Hausmeisters sah, und schnitt für
ihn die Hälfte des für den Bruder bestimmten Brotes ab. Onkel Paul
dankte mit Tränen in den Augen. Den angebotenen Tee lehnte er ab. Er
wankte, sich mit der Hand an der Wand haltend, auf den Hof. Wenig später
ging ich zur Schule und sah ihn am Tor auf der Bank sitzend. Einen
Bissen Brot hatte er noch im Mund, das restliche hielt er fest in der
Hand. Vor Entkräftung war er eingeschlafen. Als ich am Mittag aus der
Schule nach Hause zurückkam, saß er noch immer so da, mit dem Brotkrumen
im Mund. Nur das Stückchen Brot war ihm inzwischen von einem anderen
Hungrigen aus der Hand genommen worden. Ich stand eine Weile vor ihm,
ohne zu begreifen, was passiert war. Schließlich sah ich Insekten über
sein Gesicht laufen, erst da erkannte ich: Der Hungertod hatte auch
Onkel Paul ereilt.
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Darstellung
Hungerhilfe aus Deutschland und was daraus gemacht wurde
Die Hungersnot rief erneut internationale Hilfsaktionen hervor,
die für die Russlanddeutschen besonders aus Deutschland kamen. In
Deutschland organisierte der sogenannte Reichsausschuss 'Brüder in Not'
die Hilfsaktivitäten. Als Hitler im Jahr 1933 in Deutschland an die
Macht kam, wurden die Hilfsleistungen eingeschränkt und die deutschen
Empfänger in der Sowjetunion eingeschüchtert. Die sowjetische Presse
verbreitete zum Beispiel, dass die Pakete aus Deutschland 'Hitlerhilfen'
und deren Empfänger Agenten der nationalsozialistischen Regierung in
Deutschland seien. [...] Verhaftungen, die allein auf der Annahme von
deutschen Paketen beruhten, folgten und galten oftmals als Beweis der
Spionage.
Auch wenn das Land verhungert – der Schein musste stimmen: Russlanddeutsche Kinder 1935 bei einer Parade zu Ehren Stalins. Auf den Transparenten steht: "Danke Stalin für die glückliche Kindheit".
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Merkkasten
Der Fünfjahresplan in der Sowjetunion und seine Auswirkungen
Stalin hatte sich für den schnellen Aufbau eines Industriestaats und
gegen einen Agrarstaat ausgesprochen. Fünf Jahre, von 1928 bis 1934, gab
er seinem Land Zeit für den Umbau. Die Kollektivwirtschaften
(Kolchosen) sollten die Ernährungsgrundlage sichern. Von diesen
Kolchosen gab es jedoch Ende der 1920er Jahre noch sehr wenige.
Als der Fünfjahresplan in Rückstand geriet, griff Stalin mit Gewalt
nach den privaten Bauernhöfen, um sie mit Zwang zu kollektivieren. Die
Großbauern sollten ganz entfernt werden. Der harte Eingriff in die
ländlichen Strukturen führte zu einer Hungersnot. Letztlich wurde die
Industrialisierung in der Sowjetunion tatsächlich beschleunigt. Der
Preis dafür waren die Zerstörung der traditionellen Landwirtschaft und
13 Millionen Todesopfer.
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Die Propaganda zeigt nur die ehrgeizigen Pläne, die Realität zeigt die Kosten, die bei der Verwirklichung dieser Pläne entstehen.
4 Zusammenfassung
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Auf dieser Seite ging es um die Frage, wie sich die stalinistische Kollektivierungspolitik auf die Wolgadeutschen auswirkte.
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Der Plan
Entkulakisierung
Hungersnot
§
Urheber: Неизвестный художник (не указан в выходных данных плаката; отсутствует авторская монограмма или подпись)
Stalin wollte die Sowjetunion industrialisieren. Dafür brauchte er mehr Fabriken, mehr Arbeiter und für diese mehr Nahrung. Diese Nahrung sollte in den sowjetischen Dörfern erarbeitet werden, indem dort alles Land beschlagnahmt, von einer staatlichen Kolchose verwaltet und effizienter bearbeitet würde. In solchen Kolchosen sollten die sowjetischen Bauern arbeiten.
Der Plan schlug zunächst fehl. Die staatlichen Kolchosen waren nicht effizient, die Bauern waren unmotiviert, die Erträge brachen ein. Stalin machte dafür die 'Kulaken' (reiche Bauern) verantwortlich. Sie wurden enteignet, verhaftet, in Lager gesperrt und oft hingerichtet. Da unter den Russlanddeutschen viele reiche Bauern waren, waren sie auch besonders von diesen Maßnahmen betroffen.
Diese Maßnahmen verschlimmerten die Ernteausfälle aber noch. 1932/33 kam es zu einer entsetzlichen Hungersnot in Südrussland und der Ukraine. Diese Gebiete waren die ertragreichsten der Sowjetunion – dass hier Millionen Menschen verhungerten, lag daran, dass Stalin trotz Hunger Getreide und Saatgut wegschaffen ließ, um es in die Industriestädte zu bringen und zu exportieren.