Ich behaupte,
die Wolgadeutsche Republik, die die Russlanddeutschen nach der
Revolution tatsächlich erhielten, war mit das Wichtigste, was den
Russlanddeutschen in ihrer Geschichte passiert ist. Nicht, weil diese
Republik mächtig, politisch autonom, langlebig und stabil gewesen wäre –
das war sie alles nicht. Aber sie sollte in der Erinnerung der
Russlanddeutschen noch jahrzehntelang, vielleicht bis heute einen
wichtigen Platz einnehmen. Sie war der Ort, an dem man endlich das sein
konnte, was man war – Russe und Deutscher – und an dem
einem daraus kein Vorwurf gemacht wurde. Sie war Heimat, vielleicht die
letzte wirkliche Heimat, die die Russlanddeutschen im 20. Jahrhundert
haben sollten.
Aber Erinnerung kann auch trügerisch sein. Also wollen
wir uns in diesem Kapitel die 'Wolgadeutsche Republik' anschauen und
uns dabei fragen, was an ihr tatsächlich gut war und was vielleicht nur
aus der Erinnerung an sie gut aussah.
1 Dient der neuen Sowjetunion, dann kriegt ihr eure Selbstverwaltung
Für die Russlanddeutschen war 1918 nach den Verletzungen der Kriegsjahre klar, dass sie Schutzrechte und Selbstverwaltung brauchten, um sich in diesem Land wieder sicher zu fühlen. Die in Moskau neu an die Macht gekommenen kommunistischen Bolschewiki wollten ihre Herrschaft stabilisieren und das Land nach ihren Vorstellungen umgestalten. Natürlich hatten die Bolschewiki mehr Macht, aber ihre Lage war 1918 noch ziemlich unsicher – sie brauchten loyale und engagierte Bürger, um die Sowjetunion aufbauen und gegen ihre zahlreichen Feinde vorgehen zu können.
Die Russlanddeutschen bekamen also folgendes Angebot: Wenn sie, angeführt von guten deutschen Kommunisten, an der Wolga ein russlanddeutsch-sowjetisches Musterland aufbauen würden, bekämen sie ihre gewünschten Rechte und eine selbstverwaltete sogenannte 'Arbeitskommune'. Die Sache hatte für die Russlanddeutschen mehrere Haken: Erstens waren sie keineswegs überzeugte Kommunisten, sie waren größtenteils landbesitzenden Bauern und Kleinunternehmer – also Menschen, die von einer kommunistischen Verstaatlichungspolitik nichts Gutes zu erwarten hatten. Zweitens sollten an der Spitze ihrer Arbeitskommune von Moskau ernannte Kommissare stehen. War das dann überhaupt noch eine Selbstverwaltung?
Eine Karte der wolgadeutschen Arbeitskommune von 1922
Quelle
Telegramm Josef Stalins an die sozialistischen Vertreter der Wolgadeutschen über den Ausgang der Verhandlungen (25. April 1918)
Quelle
Telegramm Josef Stalins an die sozialistischen Vertreter der Wolgadeutschen über den Ausgang der Verhandlungen (25. April 1918)
An das Komitee deutscher Sozialisten des Saratover Gouvernements. […]
Ich halte es für meine Pflicht, Ihnen bezüglich der Erklärung Ihrer
Delegation, vertreten durch die Genossen Klinger, Emrich und Köhler,
gegenüber dem Volkskommissariat für Nationalitätenangelegenheiten
mitzuteilen, dass die Regierung erfreut sein kann über das Erwachen der
deutschen werktätigen Massen, die sich endlich entschieden haben, den
Aufbau ihres Volksschulwesens und der gesamten Selbstverwaltung des
Volkes auf Grundlage der Rätebildung in die eigenen
Hände zu nehmen. Die Regierung vertraut darauf, dass die deutschen
Arbeiter und armen Bauern, zusammengeschlossen in Deputiertenräten,
die Macht in ihre Hände nehmen und Schulter an Schulter mit den
russischen Werktätigen zum Sozialismus voranschreiten werden. Wir
zweifeln nicht daran, dass Ihr Komitee alle Kräfte einsetzen wird, um
gemeinsam mit den zu Ihnen delegierten bewährten Genossen Reuter und
Petin in Ihrem Tätigkeitsbereich den endgültigen Triumph des Sozialismus
herbeizuführen.
Der Volkskommissar für Nationaliätenangelegenheiten
J. Stalin.
Telegramm: schnelle Übermittlung von Nachrichten durch ein Telegrafie-Gerät, das über leitende Kabel elektrische Signale sendet
Rätebildung: Statt demokratisch gewählter Abgeordneter strebten die Kommunisten die Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten an. Diese sollten die Entscheidungen der sozialistischen Partei durchsetzen und damit ihre Macht stärken.
Deputiertenräte: Als Deputierte werden hier die Mitglieder eines Rates bezeichnet. Diese bilden den Rat.
Darstellung
Warum förderte Stalin die Gründung der Arbeitskommune als 'autonomes' Gebiet der Wolgadeutschen?
Darstellung
Warum förderte Stalin die Gründung der Arbeitskommune als 'autonomes' Gebiet der Wolgadeutschen?
Josef Stalin war kein ehrlicher Mensch, so viel ist sicher, und selbstlos schon gar nicht. Einige seiner Autonomiemotive für das Wolgagebiet wurden bald für jeden spürbar: Die Rote Armee brauchte im Bürgerkrieg jeden Mann und jedes Getreidekorn, das sich irgendwie auftreiben ließ. Mit der Autonomie und der direkten Einflussnahme auf das Wolgagebiet erhielt er auf beides einen leichteren Zugang. So stand der Wolgadeutsche bald wieder auf dem Kriegsacker, doch diesmal im Kampf Russe gegen Russe, Rote Armee gegen Weiße Armee. Wieder waren die Deutschen zwischen die Fronten geraten, wieder litt die Landbevölkerung unter den übermäßigen und rücksichtslosen Lebensmittellieferungen. Hinzu kam die unsägliche Willkür des Kriegskommunismus, der für die Deutschen ein besonders hartes Brot sein sollte.
Natürlich hatte Stalin noch weitere Motive in der Hinterhand. So
sollten andere Minderheiten mit dem wolgadeutschen Vorzeigeprojekt zum
freiwilligen Verbleib im neuen Russland gebracht werden. Die
Arbeitskommune des Gebietes der Wolgadeutschen war praktisch eine
Werbeaktion für einen angeblichen kommunistischen Föderalismus.
Ebenso schwang bei Stalin die Hoffnung mit, dass endlich der „Flüchtlingsstrom" ins Deutsche Reich aufhören möge, der mit dem Frieden von Brest-Litowsk eingesetzt hatte. Lieber sollten die Russlanddeutschen zur Zusammenarbeit mit der Sowjetmacht gebracht werden.
Doch das stärkste Motiv war die Angst davor, dass das deutsche Kaiserreich mit seiner Werbung bei den Wolgadeutschen den Nerv treffen könnte. Das Deutsche Reich versuchte nämlich, die Wolgadeutschen an seine Politik zu binden. Um dies zu verhindern, ließ Stalin die deutsche Sprache und Kultur zu. Er erhoffte sich dadurch eine Erhöhung der Wirkung seiner eigenen Propaganda bei den deutschsprachigen Einwohnern in Sowjetrussland.
2 Erst kommt der Kommunismus, dann der Bürgerkrieg
Moskau schickte den Wolgadeutschen zwei 'ihrer eigenen Leute', den deutschen Sozialisten Ernst Reuter und den Österreicher Karl Petin.
Beide waren ehemalige russische Kriegsgefangene. Die Rolle dieser
beiden 'Kommissare' war zwiespältig. Sie waren an der Wolga, um Moskaus
Vorstellungen von kommunistischen Reformen umzusetzen. Sie waren aber
auch die Vertreter der wolgadeutschen Bevölkerung und ihrer Interessen
gegenüber Moskau. Sie organisierten Schulen, in denen die
Wolgadeutschen endlich wieder deutschen Unterricht geben konnten, aber
diesen Unterricht eben auch nach den marxistischen Vorgaben der
Regierung ausrichten mussten. Sie organisierten die landwirtschaftliche Produktion und bestellten Geräte und Maschinen für die wolgadeutschen
Bauern, aber eben auch mit dem Ziel, möglichst viel Getreide nach Moskau
liefern zu können. Denn die Bolschewiki in Moskau brauchten dringend
Vorräte und Versorgung. Nach ihrer Revolution war das halbe Land in
Aufruhr, ganze Provinzen versagten der Sowjetunion die Gefolgschaft,
Teile der Armee kämpften weiter für das untergegangene Zarenreich und
gegen die Bolschewiki – das Land steckte mitten in einem blutigen
Bürgerkrieg.
Quelle
Allgemeines Statut des Kommissariats für wolgadeutsche Angelegenheiten (1918)
Quelle
Allgemeines Statut des Kommissariats für wolgadeutsche Angelegenheiten (1918)
- Das Kommissariat ist der geistige Mittelpunkt der sozialistischen Arbeit unter der deutschen arbeitenden Bevölkerung.
- Das Kommissariat überwacht die Durchführung der Dekrete und Verfügungen der Sowjetregierung.
- Das Kommissariat hilft der Vereinigung der arbeitenden Massen der deutschen Kolonien in Bezirksräten, mit Rücksicht auf die besonderen Bedingungen ihrer Sprache, Sitte und Gebräuche. Die Vereinigung wird durchgeführt im Einvernehmen mit den örtlichen Gouvernementsräten, wenn die deutschen Räte einen diesbezüglichen Wunsch äußern.
- Beschlüsse der Bezirks- und Gouvernementsräte, die die Interessen der arbeitenden Bevölkerung der deutschen Kolonien berühren, werden nur mit Wissen und Einverständnis des Kommissariats für deutsche Angelegenheiten im Wolgagebiet durchgeführt.
Hinweis:
Wenn du dir das Statut im Original
ansehen möchtest, kannst du das hier tun. Unter diesem Link findest du
auch noch andere interessante Quellendokumente aus der ersten Zeit der Wolgadeutschen Republik.
3 Hungersnot in den Siedlungsgebieten der Russlanddeutschen
Winter 1921. Der Bürgerkrieg war zu Ende, die Bolschewiki hatten gewonnen. Aber der Krieg hatte alle Vorräte und Nahrungsreserven im Land verschlungen. Der folgende Sommer brachte wegen einer Dürre kaum Ertrag. Im Gebiet der Wolgadeutschen litten die Menschen unter einer schrecklichen Hungersnot, doch nicht nur dort.
Die Gedanken der Menschen drehten sich überall nur ums Essen. Die Nahrungsbeschaffung wurde zu einem Überlebenskampf. Insgesamt verhungerten bis 1923 in Russland etwa fünf Millionen Menschen, davon waren 47.777 Wolgadeutsche. Ohne internationale Hilfsorganisationen wären noch viel mehr Menschen gestorben. Sie versorgten täglich Millionen, bewahrten ganze Dörfer vor dem Aussterben. Menschen, die eine Möglichkeit sahen, das Land zu verlassen, flohen aus dem Elend. So verlor das Siedlungsgebiet der Deutschen an der Wolga weitere 74.000 Einwohner. Sie gingen innerhalb Sowjetrusslands in Gegenden, in denen die Not nicht so groß war oder verließen das Land in Richtung Deutschland.
Galerie: Hungersnot
Darstellung
Ursachen und Folgen der Hungerkatastrophe
Darstellung
Ursachen und Folgen der Hungerkatastrophe
Ursachen:
- 'Kriegskommunismus':
- Bevorzugung der Roten Armee und der kommunistischen Verwaltungen bei der Versorgung
- Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung wirtschaftlicher Ziele durch die Kommunisten
- Enteignung des Privateigentums an Produktionsmitteln (Landbesitz, Industrieanlagen, Banken usw.)
- Bürgerkrieg:
- Plünderungen durch die Kriegsparteien, Verwüstungen durch Banden
- Beschaffungskommandos beschlagnahmten rücksichtslos alle Lebensmittelreserven, oftmals auch das Saatgut für den Kampf der Roten Armee gegen die Weiße Armee der Anhänger des Zarenreichs.
- Den Bauern wurden trotz der Missernte unerfüllbar hohe Abgabenlasten auferlegt. Wer wenig lieferte, musste mit Bedrohung oder grausamer Bestrafung rechnen (Verhaftungen, Geiselhaft der Familienmitglieder, Scheinerschießungen, Schläge).
- Die russlanddeutschen Bauern am Schwarzen Meer und an der Wolga litten besonders, da sie im Vergleich zu anderen Minderheiten doppelt so viele Abgaben zu erbringen hatten.
- Dürre in weiten Teilen Russlands vom Winter 1920 bis zum Sommer 1921:
In den Siedlungsgebieten der Russlanddeutschen an der Wolga und der Ukraine verdorrte das Getreide. Es folgte eine katastrophale Missernte. - Kommunistische Enteignungspolitik:
Das 'Dekret über den Grund und Boden' führte zu einer starken Beschneidung des privaten Ackerbesitzes. Für die landwirtschaftliche Bestellung stand nun plötzlich viel weniger Anbaufläche zur Verfügung, weil die kollektiv organisierte Landwirtschaft nicht in Gang kam. Das führte zu einer Ertragskrise der russischen Landwirtschaft.
Folge:
Im Winter 1921/22 setzte eine große
Hungersnot ein. Schätzungsweise 25 Millionen Menschen mussten in
Russland hungern. Im Gouvernement von Saratow war die Katastrophe am
schlimmsten. Hier wohnten 2,9 Millionen Menschen. Zum Jahreswechsel
1921/22 litten von diesen etwa 2,1 Million Menschen an Unterernährung.
Quelle
Aus einem Brief von Wolgadeutschen an den deutschen Gesandten in Moskau über eine kommende Hungersnot (1918)
Quelle
Aus einem Brief von Wolgadeutschen an den deutschen Gesandten in Moskau über eine kommende Hungersnot (1918)
Die Lage der deutschen Kolonien an beiden Ufern der mittleren Wolga
[...] wird von Tag zu Tag schlimmer. Die terroristischen Überfälle von
Seiten der bolschewistischen Roten Gardisten, die seit Dezember 1917
stattfinden, nehmen Dimensionen an, die zur Annahme nötigen, als sei es
auf die Vernichtung der Kolonien abgesehen. Unter dem Vorwande der
Requisition wird den Leuten das letzte Mehl und Korn, Pferde und Kühe
weggeführt, Schafe und Rinder abgeschlachtet. Viele Bauern sind dadurch
der Möglichkeit, ihre Felder zu bestellen und die Frühjahrsaussaat zu
besorgen, beraubt. Wer sein Gut zu verteidigen sucht, wird hingemordet.
Beispiele:
In einem Dorfe, namens Schaffhausen, sind über hundert Männer, Frauen
und Kinder hingemordet und ist fast alle Habe der Leute weggeführt und
zerstört worden. Ein ähnliches Schicksal erreichte die Kolonien Basel,
Zärig, Bettinger (russisch = Baratajewka), Glarus und andere. Den
einzelnen Kolonien werden „Kontributionen" von vielen Millionen auferlegt, die besten Männer als Geiseln ins Gefängnis geworfen. [...]
Da die deutsche Regierung die deutschen Kolonisten, die zurückwandern wollen in die alte Heimat und deren Vermögen laut dem Brester Friedensvertrag
[...], geschützt wissen will, können die so schwer Heimgesuchten nur
von Deutschland Schutz und Hilfe erwarten. Diese Hilfe, um die die
bedrängten Kolonisten dringend bitten, muss bald geschehen, wenn nicht
ihr ganzes von hunderten von Millionen zählendes Vermögen und viele
kostbare Menschenleben zugrunde gerichtet werden sollen.
Kontributionen: Geldzahlungen oder andere
Abgaben, die von der Bevölkerung eines Landes in Kriegszeiten zur
Unterhaltung einer Armee (sehr oft einer gegnerischen Besatzungsarmee)
geleistet werden sollen. Diese Zahlungen werden in vielen Fällen mit
Gewalt erzwungen.
Brester Friedensvertrag: Friedensvertrag
von Brest-Litowsk zwischen dem Deutschen Reich und Sowjetrussland vom
3. März 1918. In einem Zusatzvertrag zu diesem Friedensvertrag wurde
denjenigen Russlanddeutschen, die nach Deutschland auswandern wollten,
Schutz versprochen.
Quelle
Das Grauen an der Wolga: Auszug aus dem Bericht einer staatlichen Kommission über die Folgen des Hungers
Quelle
Das Grauen an der Wolga: Auszug aus dem Bericht einer staatlichen Kommission über die Folgen des Hungers
Augenblicklich ernährt sich die Bevölkerung mit verschiedenen Gräsern, Kräutern, Zwiebeln, Knoblauch, Hunden, Katzen, Ratten, Fröschen, Zieselmäusen, Igeln und an der Wolga gesammelten toten Fische. Ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung verzehrt noch die letzten Reste seines Milch- und Arbeitsviehes. Die Kommission hat einzelne Fälle festgestellt, wo ganze Familien hilflos, nicht mehr imstande sich zu bewegen, in den Häusern umherlagen, wo und wie es der Zufall wollte, ohne jegliche Aufsicht und Pflege, ihre eigenen Exkremente unter sich hervorholten und mit den Händen in den Mund schleppten. […] In einem anderen Hause wurden Kinder von 7-17 Jahren beim Benagen der Knochen eines geschlachteten Hundes angetroffen. Der Zustand der genannten Kinder, vier an der Zahl, war traurig, alle waren angeschwollen, abgemagert, und entkräftet, unfähig eine selbstständige Bewegung zu machen.
Exkremente: menschliche Ausscheidungen (Kot, Urin)
4 Gründung der Wolgadeutschen Republik
Im Herbst 1923 ging es dann endlich wieder aufwärts für die Arbeitskommune an der Wolga. Die schreckliche Hungersnot schien mit der guten Ernte von 1923 überwunden zu sein und auch politisch tat sich etwas für die Wolgadeutschen. Die Regierung in Moskau war endlich bereit, ihnen ihre eigene Republik zu geben.
Am 6. Januar 1924 riefen die Bolschewiki die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen (ASSRdW) aus. Das Siedlungsgebiet der Wolgadeutschen war somit von einer 'Arbeitskommune' zu einem formal eigenständigen Staat aufgestiegen – einer Sowjetrepublik im Verbund der Sowjetunion. Aber was bedeutete das für die Russlanddeutschen an der Wolga?
Galerie: Wolgadeutsche Republik
Quelle
Der Zeitzeuge Edgar Groß über die Bedeutung der Wolgadeutschen Republik
Quelle
Der Zeitzeuge Edgar Groß über die Bedeutung der Wolgadeutschen Republik
Das Interesse an der Wolgarepublik als einem autonomen Staatsgebilde wächst im Westen, und von den Werktätigen selbst, so wie von ihren Leitern hängt es ab, die Republik zu einer wirklichen Bauernrepublik zu machen, in der die aus dem Westen kommenden Bauerndelegationen auf jeden Schritt den Beweis der Überlegenheit und der Vorteile des Sowjetsystems auch für das kultivierte westliche Bauerntum finden.
Hinweis: Edgar Groß war Vertreter der ASSRdW, also der Republik der Wolgadeutschen beim Moskauer Zentralexekutivkomitee. Sein Bericht stammt aus dem Jahr 1926.
Zentralexekutivkomitee: Es handelt sich um das
oberste, die politischen Entscheidungen ausführende Organ. Es wurde
gebildet aus der Versammlung aller Abgeordneten der Arbeiter- und
Bauernräte (Sowjet = dt. Rat).
Darstellung
Wissenswertes über die Verfassung der Wolgadeutschen Republik aus dem Jahr 1926
Darstellung
Wissenswertes über die Verfassung der Wolgadeutschen Republik aus dem Jahr 1926
Staatsverfassungen ansehen? Vielen Menschen erscheint das zunächst
langweilig. Und doch bekommt man bei Lesen von Verfassungen immer einen
guten Eindruck davon, wie ein Staat so „tickt“, was er über sich und seine
Werte zu sagen hat.
Das ist auch bei der Verfassung der ASSRdW der Fall. Die Wolgarepublik hatte ab dem 1. Januar 1926 endlich eine Verfassung.
- Der Text zeigt deutlich, dass auch die Republik wie die Arbeitskommune keine wirkliche Autonomie besaß: Die Republik wurde nicht als Staat bezeichnet. Sie hatte auch kein Gesetzgebungsrecht.
- Die Wolgadeutschen durften lediglich um eine Abänderung oder Aufhebung der Dekrete der Zentralregierung in Moskau bitten. Forderungen durften die Wolgadeutschen praktisch jedoch nicht stellen. Die Regelung zur Aufhebung oder Abänderung von Dekreten sollte daher nur den Anschein erwecken, die Wolgadeutschen könnten ihr Leben mitgestalten.
- Für die Verwaltung der Finanz- und Wirtschaftsaufgaben waren sogenannte vereinigte Volkskommissare für Finanzen und Arbeit, die Arbeiter- und Bauerninspektion und der Volkswirtschaftsrat zuständig. Diese waren den jeweils gleichnamigen Behörden in Moskau unterstellt.
- Die Volkskommissare für Innere Angelegenheiten, Justiz, 'Volksaufklärung', Gesundheit, Landwirtschaft, Sozialversicherung waren ebenso zentralen sowjetischen Instanzen gegenüber rechenschaftspflichtig.
Darstellung
Gebiet und politischer Charakter der Wolgadeutschen Republik
Darstellung
Gebiet und politischer Charakter der Wolgadeutschen Republik
Die Gesamtfläche der Republik betrug bei der Gründung 25.447 km². Hier lebten insgesamt 454.358 Deutsche, was einem Bevölkerungsanteil von 67,9 Prozent entsprach. Traditionell war das Gebiet der Republik landwirtschaftlich geprägt. In der Republik gab es nicht weniger als 91.000 Bauernwirtschaften.
Vertreten wurden die Menschen der Republik vom wolgadeutschen Rätekongress, zu dem 300 Deputierte aus den örtlichen Dorfsowjets berufen wurden. Aus ihnen rekrutierte sich alljährlich das 65 Mitglieder umfassende Zentralvollzugskomitee.
Quelle
Liste deutschsprachiger Orte der Wolgadeutschen Republik
Quelle
Liste deutschsprachiger Orte der Wolgadeutschen Republik
Hier kannst du dich genauer über das Gebiet der wolgadeutschen Republik und die deutschsprachigen Orte auf dem Gebiet der Republik informieren.
5 Zusammenfassung
Auf dieser Seite ging es um die Fragen, was die Wolgadeutsche Republik eigentlich war und wie sie entstand.
1918 entstand die wolgadeutsche Arbeitskommune. Durch sie erhielten die Wolgadeutschen ein gewisses Maß an kultureller Eigenständigkeit (z. B. deutschsprachiger Unterricht) und Interessenvertretung (eigene Kommissare). Der Preis dafür war, dass die Kommune kommunistisch organisiert wurde und die Parteiführung in Moskau direkten Zugriff auf die Produktion der Kommune hatte.
Der russische Bürgerkrieg zwischen Bolschewiki und Zarentreuen und die mit ihm einhergehende Hungersnot traf auch die Arbeitskommune an der Wolga schwer. Sie verlor bis 1923 über 100.000 Einwohner durch Hungertod und Abwanderung.
1924 wurde die Arbeitskommune offiziell zur Wolgadeutschen Republik. Damit war sie ein eigener Staat mit eigener kommunistischer Räteregierung. ABER: Solche Staaten gab es in der Sowjetunion viele, keiner von ihnen konnte effektiv gegen den Willen der Moskauer Parteiführung Politik machen und viele der ihnen zugesicherten Rechte existierten nur auf dem Papier.